Kunst als abergläubische Praxis

aberglaube

Aberglaube

Bevor ich zu einer ausführlichen Erörterung von Kunst und Religion (nach Claus Borgeest) komme, möchte ich eine kurze Zwischenbemerkung einfügen.

Neulich in Frankfurt fiel mein Blick im Bücherregal auf das Buch Die Illusionen der Anderen (von Robert Pfaller), worin er – in Bezug auf Octave Mannoni – moderne Formen des Aberglaubens untersucht.

Die Struktur des Aberglaubens ergibt sich nach Mannoni wie folgt:

„Ich weiß zwar, aber…“

Im Unterschied zur Religion handelt es sich dabei um einen Glauben wider besseren Wissens. Der abergläubische Mensch glaubt den Inhalt seiner Vorstellung nur halb. Er weiß, dass es nicht ganz stimmen kann, vermag sich aber nicht vollständig davon zu distanzieren.

Im Hinblick auf die Kunst ist diese Struktur des Aberglaubens präziser als die bloß religiöser Einstellung. [= Kunst ist Glaubenssache, weil nicht rational begründbar (Borgeest).]

Der Glaube an Macht und Wirkung der Kunst ist an vielen Stellen wider besseren Wissens vorhanden.

Einige Beispiele:

Ich weiß, dass die meisten Künstler nicht von ihrer Kunst leben können, ich muss aber trotzdem Kunst machen. (Auch wenn ich arm bleibe.)

Ich weiß, dass die meisten Künstler keine Aufmerksamkeit oder Anerkennung bekommen, die sie verdient hätten, ich mache aber weiter, als spielte das keine Rolle.

Ich weiß, dass die meisten Ausschreibungen oder Stipendien einer Lotterie gleich kommen, ich bewerbe mich aber immer wieder.

Ich weiß, dass es im Kunstbetrieb ungerecht und willkürlich zugeht, aber das beunruhigt mich immer nur ein paar Tage.

Ich weiß, dass die meisten Institutionen sich einen Dreck um mich scheren, ich verteidige sie aber trotzdem gegen Kritik.

Ich weiß, dass die staatliche Kulturförderung die Künstler klein hält und gegeneinander ausspielt, ich halte sie dennoch anderen Finanzierungsmodellen für überlegen.

Ich weiß zwar, dass es mir mit der Kunst schlecht ergeht, aber ich gebe allein mir die Schuld dafür.

Das liesse sich beliebig fortsetzen.

In allen Aussagen tritt ein Zwiespalt, ein Zweifel zu Tage, der letztlich um der Kunst willen überspielt werden muss.

Damit dies möglich ist, muss eine besondere Kraft in der Kunst angenommen werden, die stärker ist als jeder Zweifel an ihr. In Analogie zur Religion könnte man vielleicht von der Furcht vor dem Frevel sprechen, der Angst, sich den Zorn der Gottheit zuzuziehen.

Woher genau diese Furcht stammt, was sie so machtvoll werden lässt, bedarf weiterer Untersuchung.