Kunst lässt sich nicht beweisen. Welche Folgen erwachsen dieser Erkenntnis? Drei Antworten nach den Gedanken des Kunstkritikers Claus Borgeest.
In seiner Schrift „Das Kunsturteil“ glaubt Claus Borgeest gezeigt zu haben, dass es keine rationale Begründung für den Kunststatus eines beliebigen Werkes geben könne. Infolgedessen bleibe Kunst nur Glaubenssache und ähnele damit der Religion.
Seine Argumentation verläuft in aller Kürze so: für Kunst braucht es Kunstwerke, und diese müssten Eigenschaften aufweisen, die sie von anderen Gegenständen des Alltags unterschieden. Da diese Eigenschaften aber niemals sicher (kausal oder wenigstens hinreichend streng) als kunstwirksam zu bestimmen seien, bliebe der Kunststatus des betreffenden Werkes offen und unabwägbar.
Wenn diese Schlussfolgerung zutrifft, – und sie deckt sich mit ähnlichen Diagnosen von Luhmann und Lingner -, dann muss die Frage erlaubt sein, welche Auswirkungen sie für den Umgang mit Kunst und Kunstwerken hat, sowohl den öffentlichen, wie auch den privaten.
Wie gehe ich als Künstler damit um, dass der Kunststatus meiner Kunstwerke ebenso unbeweisbar bleibt, wie Gott oder andere Dogmen in der Religion?
Ich möchte versuchen, drei mögliche Antworten darauf zu skizzieren:
1) Kunst bleibt Kunst so wie sie ist
Das dürfte der Regelfall sein, denn Kunst hat in der Vergangenheit nur indirekt, unzulänglich oder zeitverzögert auf theoretische Infragestellungen reagiert. Spätestens mit der Postmoderne setzt ein „anything goes“ ein.
Worauf eine Man Ray zugeschriebene Bemerkung neue Aktualität erhält:
Kunst hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Es gibt in ihr eben sowenig einen Fortschritt, wie in der Sexualität. Es gibt nur unterschiedliche Weisen, sie zu realisieren.
Damit ähnelt Kunst dem Verlauf der Mode. Die heutige Wintermode ist weder besser als die zurückliegende Herbstmode, noch schlechter als die darauf folgende Frühjahrsmode. Sie ist nur jeweils anders, different, ohne weiteren anderen Bezug als auf ihr jeweiliges Regelsystem.
Es gibt dann wohl Regeln in der Kunst, die sich beständig ändern, aber niemand kann sagen, auf was sie beruhen. Sie sind keine Gesetze.
Kunst wäre dann – in wortwörtlichem Sinne – ein Glasperlenspiel. Die Fiktion innerhalb einer Fiktion. (Deleuze sagt in Proust und die Zeichen, das Zeichen der Kunst sei das einzige, das keine Verankerung im Gegenstand kenne.)
Die Versuchung bestünde dann leicht darin, Kunst allein aus ihrer Wirkung zu bestimmen und zu erklären. Nach der volkstümlichen Diktion: Kunst ist, was gefällt.
Mit Borgeest und ähnlich einer Passage in Wittgensteins Privatsprachenargument („der Käfer in der Schachtel“) bliebe dann aber weiterhin ungeklärt, ob die Wirkung, die von einem „Werk“ ausginge, tatsächlich (kausal) auf Kunst zurück ginge. Es könnte auch etwas anderes sein, wie uns die Postmoderne schon beliebige ästhetische Affizierungen lehrte.
Borgeest führt den Kunststatus auf die „Kenntnis biografischer, anekdotischer und außerkünstlerischer Ereignisse“ zurück, die er in Anlehnung an Benjamin „Aura“ des Werkes nennt. (Vielleicht wäre „Nimbus“ passender?)
Die Aura ist etwas Außerkünstlerisches; denn sie besteht nicht aus werkimmanenten Qualitäten, sondern aus Kenntnis biografischer, anekdotischer und außerkünstlerischer Ereignisse. Folglich ist auch die affektive Wirkung eines Werkes auf einen Betrachter eben sowenig eine künstlerische Wirkung, wie die Wirkung eines Placebo eine pharmakologische Wirkung ist.
Und mithin ist das subjektive Qualitätsurteil, das nach Maßgabe dieser Wirkung gefällt wird, auch kein künstlerisches Urteil. Das Werk in seiner physischen Beschaffenheit ist allenfalls ein Fetisch zur Mobilisierung von Halluzinationen oder Selbstsuggestionen und ähnlichen Formen der Vorstellungserzeugung. (Borgeest, S. 131/132)
In der Anthroposophie, der Homöopathie, der Psychoanalyse sind auch Wirkungen („es hilft mir“) vorhanden. Inwieweit sie nur Schein-Wirkungen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, solange der „Wirkstoff“ nicht verlässlich bestimmt werden kann.
Eine Kunst, die derart unbestimmt bleibt, läuft Gefahr zum Spielball diverser Interessen zu werden, die die Regellosigkeit zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Ein überhitzter Kunstmarkt ist nur eines von vielen Symptomen. Ein anderes die enormen Einkommensunterschiede und die verbreitete Armut unter Künstlern. Von Hans Abbing offen und deutlich als „Ausbeutung“ charakterisiert.
Und die alte Frage, warum was aufgrund welcher Kriterien in Museen und Sammlungen eingeht, bleibt ebenfalls unbeantwortet.
Schließlich das Fehlen von Demokratie und Transparenz, die den Kunstbetrieb als Regime Ländern näherrückt, die ansonsten die Kunstfreiheit beschneiden.
Wer sich unter den Profiteuren dieses Systems nur reiche Privatsammler (High Networth Individuals) vorstellt, vergisst, dass, zu mindestens in Deutschland, 90% der Kulturfinanzierung vom Staat vorgenommen wird. Je irrationaler die Kunst, je desolater die wirtschaftliche Lage der Künstler, desto großzügiger erscheint die mäzenatische Fürsorge der öffentlichen Hand.
Wiewohl Kunst sinn-los sein kann, muss sie deswegen nicht funktionslos sein. Je ungebundener sie sich gebiert, desto größer der mögliche Distinktionsgewinn, der nur denen zustehen kann, die sich als Eingeweihte verständigt haben und unter ihresgleichen einen Blick hinter die Kulissen werfen dürfen. Sie erheischen Prestige aus dem Zugang zu einem vermeintlichen Geheimwissen, das andern unzugänglich bleiben muss. (Bourdieu hat diese Zusammenhänge hinreichend erforscht.)
Kunst ist denen geläufig und vertraut, die an Kunst glauben und ihr eine nur ihr eigene Wirkung und Essenz zutrauen.
Folglich kann es auch keine Kunstkritik, verstanden als kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit den Werken und ihren Wirkungen geben. Nur noch entweder Kunstberichterstattung, manchmal auch getarnt als Werbung, mit der schleichenden Neigung zum Boulevard („Wer hatte was an auf der Art Miami Beach…“), oder Fundamentalkritik, die aus sozio-politischer Perspektive die Abschaffung ihres Gegenstands betreibt. Wer ernsthaft der Ansicht ist, dass Kunst keinen Sinn mehr macht, sollte sich anderen Gegenständen zuwenden.
Auch die vielleicht letzte Hoffnung auf die Kunst, ihre emanzipative Kraft, muss unbestimmt bleiben. Sie ist immer möglich, doch niemals zwingend und daher auch nicht verlässlich reproduzierbar. Politische Kunst, da wo sie wie eine Rezeptur zur Beseitigung allen Übels daherkommt, muss folglich ins Leere laufen.
En passant könnte sich Kunst immerhin leidlich nützlich machen. Man denke an Duchamps Metapher vom Rembrandt als Bügelbrett. Wenn nicht als offensichtliche Dekoration, – das können die Designer besser -, dann doch als Staffage einer coolen Off-Location zwecks Anregung des Alkoholkonsums und der guten Laune, wie letztlich überhaupt zur Entdeckung ungewöhnlicher Orte, die noch nicht in jeder App verzeichnet sind. Und die Künstler sind auch recht angenehme Zeitgenossen, sofern man sie nicht allzu ernst nimmt.
Das sind so die besten Voraussetzung, einfach weiter zu machen.
2) Kunst abwandeln und entschärfen
Nach Andreas Reckwitz, der auch die negativen Folgen des Kreativitätsdogmas, das für ihn auch die Kunst einschließt, bedacht hat, bestünde eine Lösung in der Abkehr von einer heroischen Kreativität, die sich dem ästhetisch Neuen, dem Zuspruch durch ein Publikum und die Aufnahme in institutionelle Sammlungen verpflichtet fühlt.
Ihr stellt Reckwitz eine profane Kreativität entgegen, die sich gänzlich oder in Teilen von der heroischen Kreativität abwendet und eigene Wege geht. Etwa in der Relativierung oder gar der Zurückweisung der Rolle eines Publikums. Beispiele einer solchen Praxis finden sich in der Konversationskunst von Alsleben/Eske oder in den Spaziergängen der Künstlergruppe FritzDeutschland.
Wenngleich damit eine Entschärfung ästhetischer Avantgardeansprüche einher geht, wird dadurch das Problem, wie es Claus Borgeest aufwirft, nur verschoben. Verzichtet man darauf, die oben angesprochenen Praxen mit den Prämissen einer heroischen Kreativität bzw. Avantgardekunst abzugleichen, muss man sich natürlich auch nicht mehr um den Begründungszusammenhang kümmern. Was nicht in Bezug auf Kunst betrachtet werden will, will auch nicht als Kunst gerechtfertigt werden.
Wollte man aber Unternehmungen der profanen Kreativität wieder im Kunstkontext verorten, in einer Galerie ausstellen oder der Kulturförderung andienen, träte das Problem der Kunstbegründung ungelöst von Neuem auf.
3) Kunst abschaffen
Die andere, drastische Alternative lautet, die Kunst abzuschaffen, oder in ihrem Einfluss deutlich zu reduzieren.
Und zwar nicht als persönliche Entscheidung. Das ist schon schwer genug. Sondern als kollektive und öffentliche Maßnahme.
Ähnlich der Trennung von Kirche und Staat wäre jegliche staatlich Unterstützung für die Kunst und ihre Institutionen aufzuheben. Also, die Entlassung der Akademien und Museen aus öffentlicher Fürsorge. Einstellung aller Kulturförderung (vielleicht mit Ausnahme des Denkmalschutzes), sowie Aufhebung aller Steuervorteile und sonstiger Privilegien.
In unserer Gesellschaft, die von einem allumfassenden Regime des Ästhetischen (siehe auch Reckwitz, Entgrenzung der Künste) in allen Lebensbereichen geprägt ist, käme das einem Suizid gleich.
Entsprechend heftig fielen wohl die Reaktionen aus. Sie entblößten den geheimen Grundsatz, nach dem ein Leben ohne Kunst weder vorstellbar noch lebenswert wäre.
Wäre es dennoch denkbar, mit Nietzsche, der immerhin „das Dasein und die Welt nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt“ sah, von der Kunst – analog – als unserer „längsten Lüge“ zu sprechen?
Dafür schreibt Borgeest:
Leute, denen schon bei der Vorstellung einer Welt ohne Kunst das nasskalte Grauen kommt, wären daran zu erinnern, dass im vergangenen Jahrhundert die Vorstellung einer Welt ohne Religion ähnliche apokalyptische Schauder hervorgerufen hat. Diese von Religion entfremdete Welt ist heute trotz der intakten, aber resonanzarmen und großteils mit ihrer Selbsterhaltung beschäftigten kirchlichen Institutionen eine Tatsache, und zwar ohne spürbaren Verlust ihrer sozial-ethischen Wertordnung, deren Pflege und Erhalt der Staat übernommen hat. (S. 182)
Damit müsste die Kunst nicht gänzlich verschwinden. Sie wäre dann Privatvergnügen, ähnlich Federball oder Minigolf, den Zeitungen allenfalls eine Spalte im Lokalteil wert. Eine harmlose Schrulle oder ein Handwerk, das seinen Schöpfer ernährt.
Für die letzten Unbelehrbaren gäbe es vielleicht noch Galerien, einige wenige, als Fachhandlungen für bildnerische Esoterik, wie andernorts für Edelsteine und Klangschalen.
Auch Schlangen vor Museen, so sie noch existierten, gehörten der Vergangenheit an und riefen, auf alten Fotografien bezeugt, Stirnrunzeln und Verwunderung hervor.
Sich für die Kunst zu quälen und materielle Nachteile in Kauf zu nehmen, entbehrte jeglicher Bewunderung und wäre nur noch ein ein mildes Lächeln wert, wie man es auch anderen asketischen Übungen und Diäten schenkte.
Zu guter Letzt bliebe die der englischen Atheist Bus Campaign entlehnte freundliche Aufforderung:
There’s probably no art. Now stop worrying and enjoy your life.
Was könnte ich mir noch schöneres vorstellen?
Ohne den Betrieb um sie würde Kunst genesen. Sie wäre menschlicher Ausdruck ohne Druck, irgendwem oder irgendetwas genügen oder irgendwen bedienen zu müssen; sie würde vor keinen Karren mehr gespannt. Welch vernünftige, befreiende Vorstellung!
Nur, weil sie derzeit oft missbraucht wird, nicht die „Täter“ zu benennen und zu entlarven (klar schützen sie ihren Status, ihre Macht, eventuellen Ruhm und ihr Geld, kurz: ihr Kuchenstück), sondern den Missbrauch ihr selbst anzulasten, halte ich für grundfalsch.
In der Diskussion ist die Kunst vom Betrieb um sie zu trennen, und zwar von JEGLICHEM Betrieb um sie.
Hallo Sabine,
das ist eine schöne Idee! Nur kann ich mir nicht recht vorstellen, wie eine Kunst ohne den Betrieb aussehen könnte. Kannst Du vielleicht Beispiele oder Ansätze dafür geben?
Grüße
Stefan
Hallo Stefan,
von meiner Warte aus gibt es vermutlich tausendfach Beispiele, wo Kunst ohne den Betrieb um sie gelebt wird. Bei Vielen wird es aus der Not geboren sein, bei manchen – wie bei mir – ist die Unabhängigkeit Programm.
Ich zähle ja im Gegensatz zu Dir alle Kreativschaffenden dazu, und es gibt viele ohne „Szenenzugehörigkeit“. Schlicht Kreativschaffende, Gesellschaftsarbeiter.
Liebe Grüße,
Sabine