Wie geht es den Buchhandlungen? Ich glaube, es bedarf keiner großen Erklärungen, um festzustellen, dass Buchhandlungen einer bedrohten Gattung angehören. Die Gründe sind ebenso einfach. Veränderte Lesegewohnheiten und Dominanz des Online-Handels.
Welche Umstände dagegen Buchhandlungen erhalten können, ist schwieriger zu bestimmen. Ich möchte dazu mein eigenes Verhalten betrachten.
Ich liebe Bücher und ich liebe Buchhandlungen.
Eine Buchhandlung muss für mich so groß sein, dass ich mich darin zwanglos bewegen und zwischen den unterschiedlichsten Angeboten stöbern kann. Die Größe der Buchhandlung sollte auch dafür Sorge tragen, dass ein umfangreiches Sortiment mir überraschende Entdeckungen erlaubt. Das Personal mag mich in Ruhe lassen. Ich weiß in der Regel, was ich will.
Leider gibt es solche Buchhandlungen kaum noch. Gerade Geschäfte mit einem qualitativen Anspruch sind erschreckend klein und eng. Ich kenne eine Buchhandlung in Berlin-Wilmersdorf, die ich oft und gerne besuche. Man merkt, dass sich die Inhaber Mühe geben, ein ungewöhnliches Angebot vorzuhalten. Trotzdem sind die einzelnen Sparten enttäuschend knapp bemessen. Philosophie und Geisteswissenschaften füllen kaum mehr als eine Spalte im Regal. Lyrik geht es ähnlich. Während Krimis und Kinderbücher mehr als den doppelten Raum einnehmen. (Es ist doch beinahe paradox, Kinder zum Lesen anzuhalten, wenn sie später keine wirkliche Auswahl mehr vorfinden werden.) Ich zögere schon, diese Buchhandlung aufzusuchen, weil ich befürchte, keine Anregung zu erhalten, keine Bücher vorzufinden, an die ich nie gedacht hätte. So geht es mir auch mit einer ähnlich ambitionierten Buchhandlung in der Hamburger Innenstadt.
Eine Buchhandlung ist für mich nicht bloß ein Ort, der Bücher vorrätig hält, sondern eine Handlung der engagierten Lesekultur. (Es gab wohl mal mit der Buch Handlung Welt im Hamburger Karoviertel eine Einrichtung, die das exemplarisch vorlebte. Aber das ist fast 40 Jahre her…)
Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Eine Buchhandlung, die entsprechend groß und umfangreich ausgestattet ist, und dabei noch in einer zentralen Lage situiert ist, dass sie das Konsumieren anspruchsvoller Bücher befördert, muss zwangsläufig entsprechenden Umsatz machen, damit sich das Unternehmen lohnt. Wenn niemand in der Buchhandlung kauft, geht das nicht.
Was kann also den Verkauf von Büchern durch eine Buchhandlung unterstützen?
Meine eigenes Leseverhalten gestaltet sich in etwa so: über den Tag lese ich zu 90% online. Von Twitter bis hin zu Blogs arbeite ich mich durch eine gewaltige Menge an Text. Da und dort stoße ich auf gedruckte Bücher. Solche, die aus einer Zeit stammen, als digitaler Text noch keine Option war, solche, die es bedauerlich nur auf Papier gibt, und als Schnittmenge solche, die einfach schöner und angenehmer in gedruckter Form sind. Bildbände etwa.
Wenn mich ein Kaufwunsch ereilen sollte, wird die Sache schwierig. Vor 20 Jahren wäre ich in die nächstgelegene Buchhandlung gegangen und hätte das Werk bestellt. Es gab schlicht keine Alternativen. Heute lautet die Gretchenfrage: online oder nicht? Die Seite mit dem amazonischen Namen ist nur ein paar Klicks entfernt. Sie weiß im Grunde schon was ich will und liefert umstandslos zu mir nach Haus.
Der Bücherkauf wird damit zur Gewissensfrage. Jeder Online-Kauf ein Nagel im Sarg der Buchhandlung vor Ort. Aber Mitleid ist ein schlechtes Geschäftsmodell. Das steht der Caritas besser als dem Buchhändler.
Was fällt den Buchhandlungen dazu ein? Einige, und dazu gehört auch der erwähnte Laden in der Innenstadt, geben aufwändig gestaltete Kundenmagazine heraus, die um die Lektüre herum Geschichten spinnen, die dem geneigten Leser, den Buchkauf erleichtern sollen, ja überhaupt daran erinnern, dass es Text und Literatur noch in gedruckter Form zu kaufen gibt. Am Besten eben in der besagten Buchhandlung.
Schön wärs. Denn an Literaturempfehlungen herrscht kein Mangel. Wenn ich nicht online empfänglich bin, so studiere ich die Literaturbeilage einer Tageszeitung und stehe schließlich vor dem gleichen Problem. Wo kaufen, wenn ich will? Neben der Zeitung liegt schon griffbereit das Handy oder Tablet, das Amazonien ist immer da.
Nicht Online ist das Problem, sondern der Abstand zwischen mir und dem Buch. Online ist nur die Kurzformel für ’näher dran‘. Kundenmagazine oder Literaturbeilagen helfen solange nicht, wie der Weg zum Buch zu weit ist, unter Umständen einer Klick-Ökonomie. (Dieses Schicksal ereilt auch andere Branchen.)
Buchhandlungen könnten dann mehr verkaufen, wenn sie näher am Kunden wären. Einstmals war das eine Frage physischer Distanz. Heute bedeutet Nähe der Platz auf dem Startscreen des Nutzers. Dort müsste die Buchhandlung präsent sein.
Erstaunlicherweise funktioniert bei mir das im Falle des ZVABs, dem Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher, erstaunlich gut. Die Webseite ist bei mir in ständiger Benutzung. Das mag natürlich daran liegen, dass seltene oder vergriffene Bücher eben nicht an jeder Ecke zu bekommen sind, ich als auch gar nicht darüber nachdenken muss, ob ich das entsprechende Buch beim örtlichen Händler bekommen kann. (Zum Vergleich: ich kenne nicht eine Webseite einer von mir geschätzten Buchhandlung. Ich müsste sie suchen, und wenn ich sie fände, wüsste ich nicht, was ich da sollte.)
Natürlich kann weder die App einer einzelnen Buchhandlung noch die einer Kette den Weg zum Buch abkürzen. Dazu bedürfte es schon die Anstrengung der gesamten Verlagslandschaft (der aber vielleicht schon egal ist, wo sie verkauft…), wenn das noch ausreichte die Dominanz bestehender Online-Händler zu brechen. Es müsste doch der Versuch gemacht werden. Oder es gibt diese App schon und ich weiß nichts davon…
Das Gesetz des Online-Handels lautet: nicht bloß ‚first to market‘, sondern ‚first to mind‘!
Und Du?
Wie nah ist Dir Deine Buchhandlung?
Wichtige Auseinandersetzung, schön geschrieben. 🙂