Als ich die Tage über die Thomas-Mann-Villa in Los Angeles schrieb und dabei Überlegungen anstellte, wer wohl den anstehenden Umbau produktiv kontraproduktiv bewerkstelligen könnte, beschlich mich das Gefühl, ich könnte es mit meinen Vorschlägen niemandem recht machen.
Gregor Schneider kam nicht in Frage, Eric van Lieshout auch nicht (‚Ikonoklasmus‘ unterstellte mir Kunstbiss auf Twitter), und bei Peter Marino kam mir die Befürchtung, schon seine ostentativ vorgetragene Ledermontur könnte der nötigen Achtung, die deutsches Kulturgut verlangt, abträglich sein.
Woran liegt das?
Nicht, dass ich mich so leicht einschüchtern liesse, aber mir scheint, als verwiese das Unbehagen, das bis auf mich übergreift, auf eine eigenartige Konstitution des kulturellen Feldes, eine Neigung, sich von bestimmten Dingen und Einstellungen fern zu halten, sie im eigenen Bereich nicht zu dulden, zu negieren oder gar zu tabuisieren.
Ein kleines Beispiel, das mir zum Auslöser meiner Irritation wurde. Die Genossenschaft Fux, die 2015 die einstige Victoria-Kaserne in Altona gekauft hatte und in ein Kulturzentrum verwandeln möchte, erklärt ihre Gründe für den Hauserwerb wie folgt:
„Wir haben die ehemalige Kaserne gekauft, um sie der Spekulation zu entziehen“
"Wir haben die ehemalige Kaserne gekauft, um sie der Spekulation zu entziehen" Heute Genossin/Genosse werden! #fux https://t.co/KIwTslrluD
— Esso-Häuser (@essohaeuser) November 22, 2016
In nahezu sinngleicher Analogie ist in der Süddeutschen Zeitung über die Motivation der Bundesrepublik Deutschland, die Thomas-Mann-Villa zu erwerben, zu lesen, es ginge darum, „ein Denkmal vor dem Zugriff des erbarmungslosen amerikanischen Immobilienmarktes zu schützen“.
Reinigungsarbeit
In beiden Fällen, die gängiger kultureller Praxis entsprechen, springen die Metaphern des ‚Entziehens‘, des ‚Schützens‘ und des ‚Zueigenmachens‘ ins Auge. Hier werden zwei einander gegensätzliche Sphären angenommen oder vielleicht sogar konstruiert, zwischen denen ein kulturelles Gut wechselt. Die eine ist gut, die andere ist schlecht.
Ich möchte diesen Vorgang in Anlehnung an die Begrifflichkeit von Bruno Latour (in ‚Wir sind nie modern gewesen‘) kulturelle Reinigung nennen. Wie Latour die die Moderne bestimmende Trennung von Natur und Kultur begreift und dabei die dem jeweiligen Feld zugeordneten Objekte einer ‚Reinigung‘ unterworfen sieht, die das jeweils andere mit Ausschluß bedroht, möchte ich einige Formen dieser Reinigungspraxis für das kunst-kulturelle Feld untersuchen.
Der böse Kapitalismus
Die beiden oben angeführten Beispiele entsprechen einer weit verbreiteten Einstellung in der Kunst, das vorherrschende westlich geprägte Wirtschaftsmodell mit Skepsis und Abneigung zu betrachten, während staatlich finanzierte Mildtätigkeit mit Beifall bedacht wird. Max Weber, dem vielleicht als erstem dieser Gegensatz auffiel, hat dafür den treffenden Begriff der ‚charismatischen Bedarfsdeckung‘ geprägt. In aller Kürze gefasst, wird Kunst hier ein Sonderstatus, ein Charisma, zugebilligt, dem nachfolgend ein entschuldigtes Fernbleiben vom allgemeinen Wirtschaftsgeschehen als Auszeichnung zukommt und der damit einhergehenden Hilflosigkeit geradezu notwendig mit öffentlicher Ausgleichsforderung begegnet.
Unter diesen Umständen muß kulturelle Reinigung daher alle Anzeichen des ‚Kommerziellen‘ oder ‚Profitablen‘ oder überhaupt des ‚Wirtschaftens‘ aus ihren Produkten tilgen und ihnen den Anschein geben, sie seien geradeweg aus dem Nichts entstanden. Dass Kulturbauwerke keinerlei Kostengrenzen zu kennen scheinen oder dass Kunstformen, wie die Oper, die nur ein kleines Publikum anziehen, mit einem Milliardenbetrag am Leben erhalten werden, ruft keineswegs Missfallen hervor, sondern bestätigt nur den angeblich herausragenden Status dieser Einrichtungen.
Da im modernen Kapitalismus das Wirtschaften untrennbar mit dem Rationalen verbunden ist, trifft jegliche Form logischer und konsequenter Schlußfolgerung die gleiche Abneigung wie die sonstige Buchhaltung und Materialwirtschaft. Damit, – wie seit der Romantik -, Gefühl, Phantasie, Imagination und dergleichen voll zur Geltung kommen können, müssen sie gründlich von jeder Logik und Logistik gereinigt werden. Putzzeug ist dabei gerne ein fader Relativismus, der es verbietet, Dinge und Einstellungen miteinander zu vergleichen, was insbesondere der Kunst schmeichelt. Denn die ist immer unvergleichlich. (In einer Welt, in der alles mit allem vergleichbar ist, ist daher das unvergleichliche als das schlechthin individuelle und einzigartige die Reinheit pur.)
Natürlich gehört in diese Rubrik auch die allfällige und immer populäre Kritik an den Exaltationen des Kunstmarktes, denen nur durch eingehende Desinfizierung, sprich Musealisierung, begegnet werden kann. In der Regel auf Kosten der Allgemeinheit.
Innerkünstlerische Reinigung
Wenngleich Kapitalismuskritik, man vergleiche dazu auch bei Boltanski/Chiapello den Begriff der Künstlerkritik, ein durchgängiges Moment der modernen Kunst seit ihren Anfängen darstellt, entfaltet der Betrieb gleichursprünglich auch ein nach innen gerichtetes Reinigungswerk, das sich vornehmlich auf kunstfremdes richtet.
Schon im Begriff der Moderne ist ein implizites Reinigungsgebot enthalten, das empfiehlt, alles aufzugeben, was nicht modern, nicht zeitgemäss und also überholt scheint. Damit verbunden ist auch das Konzept der Innovation, dessen ganze Problematik hier nicht verfolgt werden soll. Man lese dazu Boris Groys ‚Über das Neue‘ und beachte dabei die Begriffe ‚heilig‘, ‚profan‘, ‚valorisierte Kultur‘, ‚Alltag‘ oder ‚Müll‘ unter dem Aspekt der Reinigung.
Selbstredend gehören zur kulturellen Reinigung auch die entsprechenden Reinigungsanstalten und das ihnen verbundene Personal. Museen, Archive und weitere Institutionen der Sammlung und Vermittlung. Kunstkritiker, Kunsttheoretiker, Kunsthistoriker, die allgegenwärtigen Kuratoren und auch die Künstler selbst. Ihnen gebührte eine eigenständige Untersuchung, die hier zugunsten einer eher skizzenhaften Aufstellung der Felder der Reinigung aufgeschoben bleibt.
Kreativdiskurs
„Wenn Du Grafik machen willst, gehst Du besser an die Armgartstraße…“, beschieden zu meinen Studienzeiten die Lehrkräfte der Visuellen Kommunikation allzu bemühten Studenten. (Womit sie mit ‚Armgartstraße‘ die um die Ecke gelegene Fachhochschule für Gestaltung meinten.) Aus ihnen sprach die Angst vor allem ‚Angewandten‘, also ‚Gefälligen‘ und damit ‚Publikumswirksamen‘, das in direkter Linie über das ‚Gewöhnliche‘ zum ‚Kommerziellen‘ führte.
An diese Stelle hat sich in letzter Zeit auch das ‚Kreative‘ (oder einfach ‚Kreativität‘) gesetzt, vormals noch synonym mit dem ‚Angewandten‘, als bloß die verhassten Werber ‚kreativ‘ waren, mit dessen erstaunlicher Umwertung zu einem positiv besetzten Begriff unter der Hand alles abgewertet, gereinigt, werden muß, was nicht kreativ erscheint. Wenn Bezirke und ganze Städte als ‚kreativ‘ bezeichnet und als solche mit öffentlicher Unterstützung umgestaltet werden, dann geht das mit der Umsiedelung oder Verdrängung derjenigen Bevölkerungsteile einher, die nicht kreativ sein wollen oder kreativ sein können. Ironischerweise ist an diesem Prozess auch die eher prosaische Stadtreinigung beteiligt, die unter geschwollener Neubeschreibung (‚Stabsstelle Sauberes Frankfurt‘) durch Behübschung und Ausmerzung allen unkontrollierten Raums ihren Teil zur Neudefinition des Öffentlichen leistet. Kreative Zentren oder Hotspots sind dann die Reinräume par excellence, denen die Kultivierung eines homogenen Habitus obliegt, der vor Verschmutzung durch das Normalleben geschützt bleiben muß. Vielleicht ist deswegen in diesem Zusammenhang die Metapher des Labors so beliebt. Es herrscht Rauchverbot.
Autonomie
Autonomie ist der Generalbass jedes künstlerischen Vortrags und als solche die conditio sine qua non der Kunst. In ihr erreicht die Reinigungsarbeit ihren unbestreitbaren Höhepunkt, insoweit die Kunst unter Berufung auf ihre Freiheit von allem befreit werden muß, was irgendwie unfrei wirken könnte. Was abhängig, beauftragt, zweckorientiert daherkommt, gelenkt, unselbständig, beeinflusst oder fremdbestimmt erscheint. (Auf wunderbare Weise in Sigmar Polkes Arbeit „Höhere Wesen befehlen“ karikiert.) Ein subtiler Effekt der Autonomie ist auch die implizite und unterschwellige Ausgrenzung all derer, die nicht frei genug sein können, weil ihnen entweder die finanziellen Mittel oder nur Kraft und Selbstvertrauen fehlen, während in anderen Berufszweigen weniger geeignete Mitglieder qua Besitz einer Zugangserlaubnis (Examen, Diplom oä) mitgeschleppt werden.
Damit wirklich jeder Einfluß niederer Wesen ausgeschlossen werden kann, ist die künstlerische Eingebung, in der Genievorstellung, direkt nur von Gott abhängig und allein durch ihn bewerkstelligt. Nur Gott ist absolut rein und selbstbezogen. Die profanere Version dieses Gedankens wird von der Vorstellung des Authentischen beherrscht, als einer von allen verfälschenden Einflüssen abgesonderten, reinen Essenz, die dem Künstler (als Gereinigtem) beispielhaft innewohnt. In thematische Nachbarschaft fallen auch Konzepte des ‚Sensiblen‘ und ‚Empfindsamen‘, sowie alle Ideen, die im Künstler einen außergewöhnlichen Menschen sehen, der Fähigkeiten und Kräfte besitzt, die anderen Menschen unerreichbar bleiben.
Der Sakralraum der Autonomie ist der White Cube, jene mystische Kammer, in der die Kunstwerke abgeschieden von der Außenwelt zu sich selbst kommen können. Es gehört zur besonderen Ironie dieses von O’Doherty prägnant ausformulierten Konzeptes, dass mit dem Eintritt der Kunstwerke in den weißen Raum ihre initiale Reinigung nicht zu einem Ende kommt, sondern erst Recht in Fahrt gerät und nur dann endet, wenn die Werke mit ihren Sockeln oder den Wänden verschmolzen sind, so daß nichts als der reine, weiße Raum übrig bleibt. Dass diese zweite, endgültige Reinigung mit einem Verlustgefühl einhergeht, ist von Peter Weibel als ‚Stadium der Melancholie‘ beschrieben worden, denn nach Jahren unentwegter Reinigung weiß die Kunst längst nicht mehr, was ihr überhaupt abhanden gekommen ist und grämt sich.
Um sich von diesem Verlustgefühl durch übermässige Reinigung ein deutlicheres Bild zu machen, sei hier ein konkretes Beispiel aus der Kunstgeschichte eingeschoben.
Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere
Es gab einmal vor langer Zeit, als die moderne Kunst noch modern war und sich dennoch bedroht fühlte, namentlich von Kräften des Alltags und des Konsums, einen Künstler namens Ad Reinhardt, der – so könnte das Märchen lauten – die bedrohte Kunst durch noch entschiedenere Askese und Enthaltsamkeit retten wollte. Dazu stellte er der Kunst, insbesondere der Malerei, Regeln auf, deren Befolgung sie vor unbotmässigen Einflüssen schützen sollten:
12 Regeln für eine neue Akademie
1) Keine Textur
2) Kein Pinselstrich
3) Keine Zeichnung
4) Keine Formen
5) Kein Design
6) Keine Farben
7) Kein Licht
8) Kein Raum
9) Keine Zeit
10) Keine Größe
11) Keine Bewegung
12) Kein Gegenstand
Die Quintessenz seines Reinigungsprogramms formulierte er wie folgt:
„Der eine Gegenstand von fünfzig Jahren abstrakter Kunst, ist Kunst-als-Kunst vorzustellen, und als nichts anderes, aus ihr nur das eine zu machen, das sie ist, indem man sie mehr und mehr absondert und definiert, sie reiner und leerer macht, absoluter und ausschließlicher – nicht-gegenständlich, nicht-darstellend, nicht-figurativ, nicht-imagistisch, nicht-expressionistisch, nicht-subjektiv. Der einzige und eine Weg, zu sagen, was abstrakte Kunst ist, liegt darin zu sagen, was sie nicht ist.“
In letzter Konsequenz dieser Nichtigkeiten kann auch der Künstler verschwinden, was vor Reinhardt schon die Dadaisten und Surrealisten betrieben hatten, denen durchaus klar war, dass mit der im Programm der Avantgarde verorteten Aufhebung der Institution der Kunst auch ihre eigene Existenz hinfällig wurde, weswegen nicht wenige von ihnen als Akt der Selbstreinigung die Kugel oder das Gas wählten. (Siehe dazu die Studie von Alfred Alvarez, Der grausame Gott.)
[An dieser Stelle sei zusätzlich erwähnt, dass im Zusammenhang von Ad Reinhardt auch Clement Greenberg nicht fehlen darf. Pascal verdanke ich den Hinweis auf Peter Bürger im Sammelband ‚Autonome Kunstkritik‚ der in Bezug auf Greenbergs Forderungen an die moderne Kunst von der ‚Radikalität der Verzichtsgeste‘ – also auch eine Reinigung – spricht. Der Begriff der Reinigung bei Greenberg findet sich hier.]
Post Autonomie
Wer um 1960 nicht den Weg der Dadaisten gehen wollte und nicht zufällig im Einflußbereich der damaligen Sovietunion lebte, wo die Reinigungstätigkeit durch einen reinigenden Staatsakt zugunsten des sozialistischen Realismus beendet worden war, konnte nur zu einem Schluß kommen, um dem beispielhaft von Ad Reinhardt formulierten Reinigungsprozess zu entgehen, die Reinigung einer Reinigung zu unterziehen und somit die Autonomie autonom zu beenden.
Das Programm der Postautonomie, prominent von Luhmann und Lingner theoretisiert, mit dem sich die Kunst seitdem zu beschäftigen hat und dabei immer neue Begriffswolken, wie Post Internet Art, produziert, unterschlägt allerdings, dass die Neigung zur Reinigung von der Reinigung der Kunst schon weit länger inhärent war und gerade an Stellen ausgärte, an denen das Fortschreiten der Avantgarde zu erlahmen drohte.
Besonders bei den schon erwähnten Dadaisten und Surrealisten als Nachhut der Avantgarde waren Bestrebungen zu beobachten, die dem Reinigungsgebot geschuldete Trennung zwischen Kunst und Alltag einzureißen und Grenzüberschreitungen realer und phantasmagorischer Art vorzunehmen. Einen speziellen Aspekt nehmen dabei Gewaltphantasien ein, ist doch Gewalt das alltäglichste und zugleich verpönteste überhaupt. Beispielhaft schreibt etwa Richard Huelsenbeck (in En avant Dada, 1920): „Mit dem Revolver in der Tasche Literatur machen war eine Zeitlang meine Sehnsucht gewesen.“ Oder: „Dadaist war der Sexualverbrecher Alton, als er in sein Tagebuch schrieb: Killed to-day a young girl, it was fine and hot.“
Prominent zitiert wird auch André Breton:
die einfachste surrealistische handlung besteht darin, mit revolvern in den fäusten auf die straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die menge zu schießen. wer nicht wenigstens einmal im leben lust gehabt hat, auf diese weise mit dem derzeit bestehenden elenden prinzip der erniedrigung und verdummung aufzuräumen, der gehört eindeutig selbst in diese menge und hat den wanst ständig in schußhöhe.
Der beständigen Reinigung zu entkommen, indem man sich mit dem jeweils Verbotenen identifiziert und es programmtisch herbeiruft, scheint der Versuch zu sein, die dem Reinigungswerk enthaltene Selbstbeschränkung, die gegebenenfalls zum Tode führen kann, zu entgehen und dabei die Kunst ein Stück weit Antrieb zu verschaffen, sie erneut in Bewegung zu versetzen, zu jeder Zeit auf andere Weise (ich denke etwa an Punk), – und deshalb fordere ich, Peter Marino mit der Reinigung, …. Umgestaltung der Thomas-Mann-Villa in Los Angeles zu beauftragen.
Auf Anregung von Pascal habe ich hier eine kleine, eher schematische Zeitleiste entworfen. Sie soll die im Artikel angerissenen Reinigungskräfte in einen historischen Zusammenhang stellen.
Sehr interessant, damnatio memorie, auch genanntes Wechselspiel der sich abwechselnden Erinnerungen im Bildgedächtnis zu manifestierender und sich wieder Aufhebender zur Unsterblichkeit, sic! Gutes Thema1
Ich hatte jetzt einen Superkommentar.
Ja, Danke, Barbara. Ein Superkommentar!