Die Philosophen und Politiker und die Kunst

Kopf eines Jünglings. Praxiteles zugeschrieben. 340 vChr

Dieses aufschlußreiche Kapitel mit dem Titel „Die Philosophen und Politiker und die Kunst“ findet sich bei Jacob Burckhardt (Griechische Kulturgeschichte Band III). Es ist nur als Einstimmung auf eine längere Abhandlung zur Einstellung der alten Griechen gegenüber den Künsten gedacht.

Sie wird von Burckhardt als zwiespältig beschrieben. Man mochte die Kunst, aber nicht die Künstler, weil auf sie der Verdacht der Banausie fiel. (Handarbeit galt als schändlich.) Gleichzeitig war die Kunst im Sprechen und Denken, an dem den Griechen soviel lag, kaum präsent. So schreibt Burckhard: „Aristoteles beschweigt wenigstens die bildende Kunst.“ (S.50) Als unterstellte er Aristoteles vornehme Zurückhaltung. Denn wesentlich drastischer geht Platon die Sache an, der die Kunst einer allgemeinen und beschränkenden Gesetzgebung unterwerfen wollte, wofür er Ägypten als Beispiel anführt. Es lohnt sich, die folgende Passage aus den „Gesetzen“ zu zitieren:

DER ATHENER:

Wo sich also [C] wohleingerichtete Gesetze bereits finden oder auch in Zukunft gegeben werden sollten, glauben wir nun, daß es da in Bezug auf die Erziehung in den Musenkünsten und den Genuss, welcher durch sie bereitet wird, ganz den mit der schöpferischen Fähigkeit Begabten überlassen bleiben darf, eben das was dem Künstler selbst bei seinen Schöpfungen in Ansehung des Rhythmus, der Tonweise oder der Worte gefällt, auch die Söhne von Bürgern eines wohlgeordneten Staates als Knaben und Jünglinge in Chören zu lehren und sie so, je nachdem es der Zufall mit sich bringt, zu guten oder zu schlechten Sitten anzuleiten?

KLEINIAS:
Nein, das hätte durchaus keinen Sinn. Wer sollte es billigen können?

DER ATHENER:
Und doch ist gerade dies heutzutage wohl [D] in allen Staaten gestattet mit Ausnahme von Ägypten.

KLEINIAS:
Was bestehen denn in Ägypten hierüber für Gesetze?

DER ATHENER:
Ihr werdet sie mit Verwunderung hören. Schon längst ist nämlich bei den Ägyptern, wie es scheint, die Behauptung, welche wir eben jetzt aufstellen, als richtig anerkannt, man müsse die jungen Männer in den Staaten an schöne Tanzbewegungen und an schöne Tonweisen gewöhnen. Und nachdem sie nun dies bestimmt hatten, geben sie auch bei ihren Festfeiern zu erkennen, welches und wie beschaffen etwa dieselben seien, und es war weder [E] Malern noch allen sonstigen Darstellern von Gestalten oder was sonst dahin einschlägt, gestattet und ist es auch heute noch nicht, weder in der bildenden noch in der gesamten musischen Kunst, Neuerungen zu machen oder irgend etwas von den hergebrachten vaterländischen Sitten Abweichendes zu erfinden. Wenn man also die daselbst vor zehntausend, ich meine das nicht so wie man wohl so unbestimmt diesen Ausdruck gebraucht, sondern buchstäblich vor zehntausend Jahren gearbeiteten Gemälde und Bildsäulen betrachtet, so wird man finden, daß sie weder irgendwie schöner noch häßlicher [657 St.2 A] als die jetzt gelieferten, sondern mit derselben Kunst gearbeitet sind.

KLEINIAS:
Das ist wunderbar erwähnt.

(Buch 2, 656d. Übersetzt von Franz Susemihl.)

Hier noch die entsprechende Passage im Original, sowie in der Oxford-Übersetzung:

[656ε] καὶ παρὰ ταῦτ᾽ οὐκ ἐξῆν οὔτε ζωγράφοις, οὔτ᾽ ἄλλοις ὅσοι σχήματα καὶ ὁποῖ᾽ ἄττα ἀπεργάζονται, καινοτομεῖν οὐδ᾽ ἐπινοεῖν ἄλλ᾽ ἄττα ἢ τὰ πάτρια, οὐδὲ νῦν ἔξεστιν, οὔτε ἐν τούτοις οὔτε ἐν μουσικῇ συμπάσῃ. σκοπῶν δὲ εὑρήσεις αὐτόθι τὰ μυριοστὸν ἔτος γεγραμμένα ἢ τετυπωμένα—οὐχ ὡς ἔπος εἰπεῖν μυριοστὸν ἀλλ᾽ ὄντως—τῶν νῦν δεδημιουργημένων [657α] οὔτε τι καλλίονα οὔτ᾽ αἰσχίω, τὴν αὐτὴν δὲ τέχνην ἀπειργασμένα. (Link)

[656e] and outside this official list it was, and still is, forbidden to painters and all other producers of postures and representations to introduce any innovation or invention, whether in such productions or in any other branch of music, over and above the traditional forms. And if you look there, you will find that the things depicted or graven there 10,000 years ago (I mean what I say, [657a] not loosely but literally 10,000) are no whit better or worse than the productions of today, but wrought with the same art. (Link)

Hier findet sich tatsächlich eine Verteidigung der Autonomie der Kunst. Es soll den Jünglingen gelehrt werden dürfen, was dem Künstler gefällt. Und eben diese Autonomie steht einer Gesetzgebung im Sinne Platons engegen. Bei den Ägyptern war das anders. Da war jegliche Neuerung verboten.

Burckhardt merkt dazu an, dass die Künstler, Praxiteles etwa, die Meinung Platons zu seiner Zeit einfach nicht zur Kenntnis nahmen und ‚trotzdem‘ ihre herrlichen Werke schufen. Der philosphische und der ästhetische Diskurs waren noch nicht miteinander verbunden.

  

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