Nach einer anfänglichen Eingewöhnungszeit gelang mir auch dieses Jahr eine ausgiebige Lesezeit auf der Hütte. Und trotz der Hitze, die ich mehr denn je im Schatten unter den wenigen Blättern aushalten musste. Hier meine Liste aus diesem Sommer:
Die Verklärung des Gewöhnlichen
Dieses Buch von Arthur C. Danto stand schon lange an, denn ich erhoffte mir davon eine fundierte Erörterung künstlerischer Produktionen, die äußerlich nicht von Gegenständen oder Praktiken des Alltags unterschieden werden konnten. Dabei sind derlei Erscheinungen immer wieder im Kunstbetrieb präsent, theoretisch aber immer noch nicht leicht zu fassen.
Leider blieb auch dieses Buch nach gut der Hälfte eine schlüssige Erklärung schuldig und verlief sich in allerlei Überlegungen, die letztlich keine Hilfe dabei waren, Warhols Brillo-Boxen den Kunststatus zu- oder abzusprechen. Wenigstens konnte ich dabei mitnehmen, dass die Abwesenheit eines materiellen Kunstmerkmals am Kunstwerk keineswegs hinreichend ist, um ihm die Kunsteigenschaft abzusprechen, sondern, dass auch Kunstzuschreibungen von außen einspringen können. (Ähnlich einem Staatsbürger, der auch keine Eigenschaft seines Lands an Körper oder Seele aufweist, sondern einfach einen Pass trägt.) Dass letztlich der Kunstbetrieb den Kunststatus garantiert, ist nicht die Erkenntnis, sondern die Frage, wie er das tut. Und dabei geht das Buch fehl.
Die Ringe des Saturn
Tagebuch und Reisebeschreibung von WG Sebald nach einer mehrtägigen Wanderung durch die ostenglische Provinz Suffolk. Die einzelnen Stationen und Ertappen werden immer wieder durch längere Reflektionen und Erinnerungen unterbrochen, die einmal bei Proust oder Joyce anklingen. Stream of consciousness. Abbild des einsamen sich gehen und treiben lassens. Für mich ein zusätzlicher Genuss, dass Sebald immer wieder das Schicksal großer Herrenhäuser und Parkanlagen bedenkt, die er entlang des Weges besucht. Auch sie pflegen ein teils schattenhaftes Dasein abseits der großen Ströme der Waren und des Geldes, aus denen viele von ihnen einst hervorgegangen sind, aber, wie Treibsand nun, ans falsche Ufer gespült wurden, nachdem sich der Hauptstrom eine andere Richtung gesucht hat. Die Genauigkeit mit der Sebald diesen Sedimenten nachspürt, macht den besonderen Reiz dieses Buches aus.
What is landscape?
Wie als Kompendium zur Erzählung Sebalds erörtert der amerikanische Literaturwissenschaftler John R. Stilgoe auf Basis etymologischer und lexikalischer Forschungen die vielfältigen (Be)Schreibweisen des Landschaftsbegriffs. Dabei erfährt man, wie vielschichtig und vieldeutig selbst einfache Begriffe, wie FARM, FIELD, oder WAY sein können. Landschaft ist nicht einfach etwas, was man sieht, sondern was in Wörtern, die durch die Geschichte wandern, seinen Niederschlag findet.
Da da Buch selbst ähnlich einem Lexikon aufgebaut ist, darf man es an beliebiger Stelle aufschlagen und ein wörtliches Fundstück aufnehmen und Erkenntnis daraus ziehen. Ich denke, ich werde mir alsbald noch weitere Bücher dieses klugen Autors zuziehen.
New Yorker Geschichten
Zuletzt noch einige Seiten, die eher dem Vergnügen Rechnung tragen, wenngleich Dorothy Parker keineswegs nur leichte Unterhaltung ist. Im Zentrum ihrer bitterbösen Kurzgeschichten stehen oft Frauen, die an die falschen Männer geraten sind und kummervolle Erfahrungen machen mussten. Gelegentlich treten auch sittenstrenge Vertreterinnen der oberen 10.000 auf, die dabei mehr am Zustand ihrer Nägel als am Schicksal ihrer Mitmenschen und Dienstboten teilnehmen. Besonders gefiel mir die Story ‚Vetter Larry‘ von einer Frau, die die Zudringlichkeiten des Ehemanns ihrer besten Freundin verteidigt. Die Brisanz der Erzählung leitet sich aus der beharrlichen Weigerung der Frau ab, sich als Opfer zu sehen. Der rhetorische Kunstgriff, der beinahe hinterhältig doch den Mann, – Vetter Larry -, belastet, erinnert an die Rede des Antonius in Shakespeares Caesar: „For Brustus was an honourable man.“ Mir kam spontan der Gedanke, die ganze Geschichte einem Opfer von Harvey Weinstein in den Mund legen.
Insgesamt in zwei Wochen eine durch und durch profunde Lektüre.