Kunst ohne Publikum

Stefan Beck spricht über Kunst ohne Publikum. Konversationsrunde im Foyer der UDK Berlin. (Foto: Zorah Mari Bauer)

Konversationsrunde im Foyer der UDK Berlin. (Foto: Zorah Mari Bauer)

Einige Stichpunkte und Hinweise zu der von mir geleiteten Konversationsrunde an der UDK Berlin zum Thema „Kunst ohne Publikum“. Im Rahmen der Aktion/Präsentation „Wie wärs denn schön“ von Kurd Alsleben und Antje Eske im Foyer der Kunsthochschule.


Die Idee Publikum loslassen. ZKM 2010.

Die Idee Publikum loslassen. Alsleben/Eske. ZKM 2010.

Zu den zentralen Gedanken der Konversationskunst, wie sie von Alsleben/Eske propagiert und praktiziert wird, gehört die Vorstellung, dass die Teilnehmer einer konversationellen Veranstaltung kein Publikum im klassischen Sinne sind. Und dass deswegen die Idee eines Publikums (wie immer es geartet sein mag) aufzugeben sei.

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Telematisch inspirierte Dialogform, Alsleben 1990

Ausgangspunkt bildete die Erfahrung früher telematischer Versuche (in den 1980er Jahren), deren Schwerpunkt auf Austausch vis-a-vis, face-to-face oder one-to-one (statt one-to-many) gründete. Ähnlich wie Telefon oder Messenger. Beobachtende dritte Personen waren darin nicht vorgesehen.

Wie erfahren wir Publikum oder Öffentlichkeit?

▶ Andreas Reckwitz (2012) unterscheidet zwischen Heroischer und Profaner Kreativität. Heroische Kreativität ist gekennzeichnet durch a) ästhetisch aufgeladene Objekte oder Ereignisse, die sich b) vor einem allgemeinen, anonymen Publikum zu bewähren haben in einem c) institutionellen Rahmen. Profane Kreativität grenzt sich davon ab, wobei unklar bleibt, wie sie aussehen könnte. Siehe meine Überlegungen von 2013….

▶ Das Buch Kulturinfarkt (2012) behauptet dagegen, dass sich Hochkultur vor allem vom Angebot (und weniger von der Nachfrage) her versteht und auf ein Publikum und seine Bedürfnisse keine Rücksichten nimmt. Da diese Kultur vornehmlich staatlich finanziert wird, braucht sie ein Publikum weder als Einnahmequelle noch als Bestätigung. Sie kann machen, was sie will, solange sie die staatliche Förderung nicht verliert. Die Folge ist ein Über-Angebot, das sich auf wenige Genres und Formate konzentriert, die dann auch die meisten Mittel verschlingen. Beispiel Oper.

▶ In dieser Konzeption von Kultur (vorwiegend im deutschsprachigen Raum) schwingt noch ein Echo der genieästhetischen Konzeption der Kunst mit. Der Künstler schafft allein aus göttlicher Eingabe. Für und durch und zusammen mit Abnehmern, Kunden, Rezipienten zu produzieren, ist nicht nur nicht vorgesehen, sondern wird auch als schädlich und ablehnenswert betrachtet. Hier spaltet sich die Kunst in eine ‚hohe‘ (reine, edle) und eine ’niedere‘ (angewandt, abhängig etc). Noch heute ist es nahezu unmöglich, Kunst direkt nach den Bedürfnissen des Publikums auszurichten. Das wäre ‚König der Löwen‘.

Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. (Benjamin,XIV)

▶ Als Ergebnis: die allermeisten gegenwärtigen Künstler haben gar kein Publikum. Auch andere Autoren/Produzenten nicht. Siehe Instagram/Youtube. Der durschnittliche Youtuber kommt noch nicht einmal auf 500 Views. (Diese Form im Internet zu produzieren, hat sich sehr stark von der frühen Telematik entfernt und favorisiert ein Modell One-to-many.)

Da liegt es nahe, gleich auf das Publikum zu verzichten, bzw. den Produzenten eine Haltung zu vermitteln, in der sie möglichst lange ohne Publikum auskommen können (christliche Konvention, Askese). Die staatliche Kulturförderung macht dies möglich. These: der Staat selbst misstraut den Kräften des Marktes (Angebot und Nachfrage) und unterstützt daher Formate und Einstellungen, die davon abweichen. Dass in Kultureinrichtungen ‚linkes‘ oder kritisches Gedankengut besonders gedeiht, ist kein Widerspruch, denn dieses würde außerhalb der kulturellen Schonzone viel weniger Fürsprecher finden und verteidigt daher besonders zäh staatlichen Protektionismus.

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Konversationsrunde im Künstlerhaus Frise, Hamburg, Februar 2015

▶ Die Konversationskunst glaubt zwar, ohne ein Publikum im klassischen Sinne auskommen zu können, bleibt aber dennoch auf Zuspruch angewiesen. Wenn niemand zu den Gesprächsrunden erscheint, machen sie auch keinen Sinn. So erfahren im Jahre 2015, als wir vergeblich versucht hatten, eine Fortsetzung der Gespräche im Kunsthaus Hamburg zu finden. Auch zur heutigen Sitzung an der UDK fanden sich insgesamt nur 7 Teilnehmer, obwohl die Kunsthochschule qualitativ und quantitativ ein großes Potential an Interessierten bieten sollte.

▶ Hypothese: die genieästhetische Konzeption der Kunst ist eine Notlösung, als die Kunst von ihren ursprünglichen Auftraggebern (Adel und Kirche) im Stich gelassen, zunächst keinen neuen Markt für sich finden konnte. Die gesamte Verantwortung lastete mit einem Mal auf dem Künstler und so hatte er die Not (es ist niemand da) zur Tugend erklärt. Es darf niemand da sein. Es ist nicht nötig, sogar überflüssig.

▶ Nichtsdestotrotz wurde im 19. Jhd durch das Medium der Ausstellung (und Photografie, siehe Benjamin) das Publikum als Richter und Adressat eingeführt. Ausstellung in den Salons. (Lektüre: Bätschmann/1997, Ausstellungskünstler.)

Wenn Benjamin vom Ausstellungswert der Kunst spricht, der den Ritualwert ersetzt hat, dann demonstriert er auch die neue Macht und Freiheit der Kunst, vom Publikum, von einer allgemeinen Öffentlichkeit zu leben, statt von einzelnen Gönnern und Mäzenen.

Vor Benjamin hatte schon Alfons Paquet (1908) in der Tradition Marx von Gebrauchswert, Tauschwert, Schauwert der Kunst gesprochen und sie dabei mit den Waren und Gegenständen des Alltags auf eine Stufe gestellt. Es folgte alsbald ==> Duchamp.

▶ Gleichzeitig wiederum bedeutet zu dieser Zeit (1890-1920) die Logik der Avantgarde eine Verachtung des Publikums. Es ist passiv und respektlos. Es ist dumm und uninformiert. Benjamin dagegen sieht im Film, ein Medium, Werk und Publikum in eine neue Ordnung zu setzen. Siehe dazu den Abschnitt XII des Kunstwerks: „Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst. Aus dem rückständigsten, z. B. einem Picasso gegenüber, schlägt es in das fortschrittlichste, [497] z. B. angesichts eines Chaplin, um.“

Pop Art in den 1960er Jahren vollbringt eine weitere Demokratisierung des Geschmacks. Es kommt infolge zu den ersten Blockbuster-Ausstellungen. (Lektüre: Zahner/2006, Die neuen Regeln der Kunst.)

und weiter

Wie sehen wir jetzt die Idee von Publikum im Rahmen der Konversationskunst? Was fehlt noch? Was müsste ergänzt werden?

  

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