Nudel-Glück und Knoblauch-Liebe

Speiseöl Nudel-Glück bei Aldi-Nord im Angebot

Speiseöl bei Aldi-Nord im Angebot

Über den desaströsen Zustand unserer Welt kann man verschiedener Meinung sein, je nach Blickwinkel. Nicht erst in letzter Zeit gehen Menschen auf die Straße, die sich über die Auswirkungen des Gehalts an CO2 in der Atmosphäre Sorgen machen. Ich meine allerdings, dass eine der größten Umweltzerstörungen im Sinnverlust der Zeichen liegt. Und das seit mindestens den 1980er Jahren.

Beispielhaft dafür möge das heute bei Aldi aufgefundene Fruchtöl mit der Aufschrift „Nudel-Glück“ stehen. Im Subtitel „Knoblauch-Liebe“. Dass ein Speiseöl nicht mehr Speiseöl heißt, sondern mit den allgemeinen, für alles und jedes stehenden Begriffen des Glücks und der Liebe, die auch zudem noch von den meisten Menschen äußerst positiv eingeschätzt werden, affiziert wird, desavouiert nicht nur eben jene Begriffe, sondern auch den Inhalt. Wäre das Öl für sich genommen wertvoll, bräuchte es die Assoziation mit so fernstehenden Zuschreibungen nicht. Zudem findet sich auf der Rückseite der Flasche die folgende Erläuterung des Inhalts: „Verfeinertes Raps-Kernöl mit natürlichem Aroma.“

Das zugrundeliegende „Skript“ dieses Produktes, man könnte Knoblauch lieben und bei Nudeln Glück empfinden, ist dahingehend problematisch, dass es die bloß mögliche Verbindung, – manche Menschen können so empfinden, andere nicht -, verabsolutiert und den ursprünglichen Namen (Olivenöl?) ausradiert und durch eine nahezu kontigente Neubeschreibung ersetzt.

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Glück ist kein Gefühl, sondern eine Marmelade

Ein noch krasseres Beispiel findet sich hier in Form dieser Marmelade, die den vollkommen unbezüglichen Namen „Glück“ augenfällig vorträgt. Was hat Marmelade notwendig mit Glück zu tun? Gar nichts!

Ich könne noch mehr Beispiele dieser Art zeigen und immer neue werden sich finden, seit ich begonnen habe (wieder) gezielter danach zu suchen, als ich im letzten Jahr in der kleinen Galerie um die Ecke Menschen nahezu unreflektiert von Glück und Liebe schwärmen hörte.

Sinnverlust

Was ich hier an diesen beiden Beispielen vorbringe, ist ja nicht neu, sondern entlang einer langen Linie nachzuvollziehen, die auf Marx‘ Unterscheidung in den Gebrauchswert und den Tauschwert der Waren zurückgeht, erhebliche Prominenz in der Frankfurter Schule erlangte und dann ihren ersten Höhepunkt (1972) in Baudrillards Affektion von Gebrauchswert der Ware mit dem Sinn eines Zeichens (Signifikat) und des Tauschwerts der Ware mit dem Lautbild des Zeichens (Signifikant) erfuhr. So wie der Tauschwert der Waren ihren Gebrauchswert mehr und mehr zurückdrängte, um den Warentausch zu beschleunigen, überlagerte das Lautbild des Zeichens, auch seine visuelle Ausformung (daher die Betonung des Markenzeichens und Logos in der Werbung), den zugrundeliegenden Sinn des Zeichens bis hin zur seiner vollkommenen Auslöschung. Wie das Beispiel des Speiseöls aufweist, steht der Name eines Gegenstand heute in keinerlei Beziehung mehr zu seinem Inhalt.

Während diese Zusammenhänge bei Experten kaum Dissenz finden und unter „Cognitive Capitalism“ (Boutang) oder „Aesthetic Capitalism“ (Böhme, Reckwitz) diskutiert werden, scheinen sie den meisten Menschen entweder unbekannt oder vernachlässigbar, eine Art Kollateralschaden des Kapitalismus, zu sein.

Die allfällige Zerstörungen unserer biologischen oder physischen Umwelt sollten uns ernsthaft Sorgen machen, ebenso aber auch die Entstellung der Zeichen, denn sie bedroht am Ende unsere Fähigkeit, Dinge und Sachverhalte konkret zu benennen. Der Ökologie der Umwelt muss eine Ökologie der Zeichen folgen. Anders als bei der CO2-Reduktion, zu der es jede Menge Konzepte gibt, bleibt weitgehend fraglich, ob sich Sinn und Bedeutung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen lassen, wenn es ihn überhaupt je gegeben hat.

  

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