Kunst fordert uns heraus

Kunst fordert uns heraus. Tweet des Hamburger Kultursenators Carsten Brosda.

Tweet des Hamburger Kultursenators Carsten Brosda vom 30.6. 2020.

Die Tage las ich folgenden Tweet des Hamburger Kultursenators Carsten Brosda (SPD):

„Kunst fordert uns heraus, Stellung zu beziehen. Sie hat alle Fähigkeiten, große Zusammenhänge, individuell und unmittelbar emotional erlebbar zu machen. Sie lässt uns nicht kalt.“

Mir kam sofort der Gedanke zu folgendem Kommentar:

Es ist doch so:

Tausende Künstler schreiben in dieser Republik tausende von Anträgen, bewerben sich bei Behörden, Gremien, Stiftungen und sonstigen wohlmeinenden Einrichtungen, auch bei der Kirche, um Unterstützung und Förderung.

Und was ist das Ergebnis?

90% und mehr dieser Anträge werden, wie ich schon neulich schrieb, abgelehnt. Zudem enthalten die Ablehnungen in aller Regel keine Begründungen, sondern nur dürre, haltlose Formeln und Floskeln, die keinerlei besonderen Bezug zu der Bewerbung des Künstlers erkennen lassen.

Es tut uns leid …

Leider konnten wir …

Bei der Vielzahl der Bewerber …

Wünschen Ihnen für ihre weitere Zukunft …

Alles Gute

Nun werden die mit den Gepflogenheiten des Kunstbetriebs wenig vertrauten einwenden, jede normale Bewerbung auf einen Arbeitsplatz produziere ähnlich nichtssagende Ablehnungen.

Doch das ist nur der eine Teil der Seite. In der Kunst kontrastieren die belanglosen Floskeln zu der ansonsten überschwenglichen Begeisterung für ihren Gegenstand mitsamt den entsprechenden Worthülsen.

Man vergleiche das einmal mit einer Bewerbung für einen Job als Gabelstapelfahrer oder Sachbearbeiter. Schriebe da jemand:

„Die Sachbearbeitung fordert uns heraus, Stellung zu beziehen. Sie hat alle Fähigkeiten, große Zusammenhänge, individuell und unmittelbar emotional erlebbar zu machen. Sie lässt uns nicht kalt.“

Nein. Sachbearbeiter werden ausgewählt und bezahlt, eine bestimmte Aufgabe in einem Betrieb zu erfüllen. Ihre Tätigkeit kann notwendig sein oder nicht. Anlass zur Emotion ist sie in der Regel nicht.

Eingang für Lieferanten

Der seltsame Zwiespalt, den die Kunst kennzeichnet, erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass in ihr, deutlicher als in anderen Branchen, ein Unterschied zwischen dem Vordereingang und dem Hintereingang ihrer Institutionen besteht.

Wenn etwas als Kunst bestätigt und valorisiert wurde, dann steht ihm der Vordereingang, das Portal, die Prachtseite zu, dann steht in großen Lettern der Name des Künstlers oder der Stilrichtung an der Fassade des Museums, vor dem die Besucher Schlange stehen.

Was dagegen noch nicht als Kunst anerkannt wurde, was um Anerkennung ringt, dem bleibt nur der verschämte Antrag auf Unterstützung und Förderung, wobei letzerer Begriff die Problematik besonders ergreift: edel und großmütig, wer fördern darf, demütig, wer auf Förderung angewiesen ist.

Die vielen tausend Künstler, die Anträge auf Förderung schreiben, die oftmals ungelesen in den Papierkorb wandern, das sind die Lieferanten des Systems. Die sind austauschbar, vielleicht sogar verzichtbar. Jedes Jahr kommen neue und füllen die Regale der antragannehmenden Institutionen.

Ein Koons, auch ein Rehberger, – die schreiben keine Anträge; die lassen allenfalls ihre Assistenten anrufen. Ansonsten schaffen sie „große Zusammenhänge, individuell und unmittelbar emotional erlebbar.“

Übrigens habe ich auf meinen Tweet-Kommentar keine Reaktion erhalten, nicht einmal ein Like.

Dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.

  

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