Wir hatten schon vor Wochen die zum Glück weise Entscheidung getroffen, Weihnachten dieses Jahr ausfallen zu lassen, also auf den ansonsten üblichen gemeinsamen Umgang zu verzichten, zumal das Heim meine Mutter ohnehin nicht freigegeben hätte. So bekam ich mein erstes Weihnachten allein.
Ich glaube, zuletzt geschah mir das 1998. In meinem ersten Jahr in Leipzig. Zudem hatte ich mich mit meinen Eltern gestritten. Dennoch erinnere ich die Zeit gut gefüllt.
Einige Tage vor dem Fest feierte Götz seine legendäre Party im Hochhaus. Alle waren dort und Kerstin sah nie schöner aus in ihrem grünen Satinkleid als schließlich die Polizei kam, vergebens einen Verantwortlichen unter den Anwesenden zu ermitteln suchte und uns endlich alle nach draußen eskortierte. Ich selbst lud für zwei Tage ins multi.trudi ein, wo ich einige Geschenke vorbereitet hatte, die unter den Gästen verlost wurden. Zwischendrin musste ich noch am 1. Weihnachtstag zum Zahnarzt, der mir an einem Zahn die Wurzel zog. Eine unangenehme Angelegenheit, die sich schon ein paar Wochen vorher in Stockholm angekündigt hatte und trotz des allerbesten Zuspruchs meines Zahnarztes nicht verschwinden wollte. Wie mir später im Jahr dann deutlich wurde, hing es mit dem Frust über meinen Job in Leipzig zusammen, der mir sprichwörtlich auf die Nerven ging.
Was wünscht ihr euch?
Weihnachten 2020 sah ich daher nicht unbedingt zuversichtlich entgegen. Netterweise ergab sich, dass die Kirche in Neukölln, schon bekannter Fixpunkt aller zurückliegenden Weihnachtsfeste in Berlin, ihren Gottesdienst im Internet übertrug. Ausgerichtet vom Pfarrer, dem Chor, der Bläsergruppe und einigen wenigen Gästen, die sich im Freien vor der Kirche versammelt hatten. Wie immer mochte ich die Predikt des Pfarrers, der mich mit der Frage „Was wünscht Ihr Euch?“ überraschte. Eigentlich an Weihnachten das Allerselbstverständlichste, doch musste ich einen Moment überlegen, bis mir die Antwort kam: ein Zuhause.
Und sollte mein Wunsch bislang nicht erfüllt worden sein, so läge es, meinte der Pfarrer, daran, dass ich mich noch nicht genug angestrengt oder dass Gott einen besonderen Grund für das Verharren in der gegenwärtigen Situation (der blöden Mietwohnung hier in Hamburg) vorgesehen hätte. Was möchte er wohl mich dabei herausfinden lassen?
Bescherung
Gewaltiges kam dieses Jahr nicht zustande. Zu meinem kleinen Tannenbaum aus Plastik, den ich mit allerlei bunten Teilen und einer Lichterkette geschmückt hatte und mich mit Ausnahme fehlender Kerzen durchaus nicht unbefriedigt ließ, gesellte ich den Inhalt eines Pakets meiner Schwester, dem ich eine Vielzahl keinerer Päckchen entnahm. Mehr gab es nicht, aber ich entdeckte darunter fortwährend neue Dinge und fühlte mich schließlich wohl beschenkt.
Vier Tage, von Donnerstag bis Sonntag, durchzustehen, erwies sich als logistische Herausforderung, da ich mit Ausnahme des Balkons weder Kühltruhe noch Vorratskamer besaß. Da musste ich klug planen. An Heiligabend gönnte ich mir, wie früher zuhause, ein Filet, dass mir gut geriet und mich für den 1. Weihnachtstag noch sättigte. Den 2. Weihnachtstag hatte ich Hirschgulasch, schon vorgekocht, dazu Serviettenknödel (aus der Tüte) und dazu noch einige letzte herbstliche Quitten, die ein wunderbares Kompott hergaben.
Bewegung
Dem Mangel an Bewegung bot das traditionell düstere Weihnachtswetter leider keinen Antrieb. Den musste ich selbst beibringen. An Heiligabend und am 2. Weihnachtstag lief ich an den Altonaer Hafen und am 1. Weihnachtstag, diesmal bei prächtigen Sonnenschein, eine Runde um den Volkspark Altona. In allen Fällen versuchte ich dem weiteren Spaziergängervolk möglichst aus dem Wege zu gehen.
Zur Abmilderung seelischer Bekümmerung stand mir dann noch, auf Anraten meiner Schwester, Netflix zur Verfügung, das mich in Form der Serie The Crown mit royalem Glanz, Schmelz und Drama versorgte. Passend dazu ein sehr kleiner Schluck Single Malt.
So kann ich mich morgen, wenn der Alltag beginnt, wieder auf meinen Aldi freuen.
Lieber Stefan,
nachdem ich Dich mit Weihnachtsgrüßen schändlich vernachlässigt habe, wünsche ich Dir zumindest hier an Deinem diesbezüglichen Beitrag das Allerbeste und irgendwann endlich ein Zuhause!
Komm gut ins neue Jahr. Ich hör‘ jetzt mal ins Seminar. (Das reimt sich!)
Liebe Grüße,
Sabine
Danke, Sabine!