Eine Liste der Bücher, die ich mir im letzten Halbjahr 20/21 angeeignet hatte. Viele kreisen um den Begriff der Kultur.
Cultural Turns
Ich weiß nicht mehr, ob dieses Buch, Cultural Turns, von Doris Bachmann-Medick an erster Stelle stand oder ob der Hinweis von Raymond Williams stammte. Jedenfalls fand ich hier ein völlig neues Feld der Kulturbetrachtung vor, das vor allem Einflüsse aus der Ethnologie bezog.
Eine Vielzahl an ‚Turns‘ oder Wenden (ausgehend vom Linguistic Turn der Philosophie) haben die Geistes- und Kulturwissenschaften seit den 1970er Jahren neu ausgerichtet und dabei Grundlagen zur Postmoderne geliefert. Mir waren diese Stränge bislang nicht bekannt.
Von diesem Buch aus habe ich weitere Quellen untersucht:
— Clifford Geertz, Dichte Beschreibung
Wahrscheinlich der Beginn der ganzen Bewegung. Ein Essay von 1973. Darin bemerkte Geertz: „Was macht der Ethnograph? Antwort: er schreibt.“ Das hört sich ziemlich unspektakulär an und war doch als ‚interpretive turn‚, der Ausgangspunkt einer Revolution in den Kulturwissenschaften.
— James Clifford, Writing Culture
Clifford nahm 1984/86 die Untersuchungen von Geertz auf und diskutierte sie unter dem Begriff Writing Culture auf breiterer Basis. Einer der Aufsätze hieß Partial truths. (Das war damals sicherlich selbstkritisch gemeint, doch mag es sein als führte von dort ein unscheinbarer Pfad zu den ‚Alternativen Fakten‘ der Trump-Ära.) In den 1990er Jahren publizierte Clifford den Sammelband Routes. Travel and Translation in the late 20th Century.
Culture and Society
Raymond Williams, ein englischer Soziologe, gilt als Begründer oder Vor-Denker der Cultural Studies. Er unternahm Ende der 1950er Jahre erste Untersuchungen zum Begriff der Kultur.
— Culture and Society, 1960
— Keywords : a vocabulary of culture and society, 1976
— Culture, 1981
Wichtiger Wegbereiter des Kulturbegriffs: Ruskin. Sein Argument (in Modern Painters und Unto this last): nicht der materielle Erfolg zählt, sondern das gute Leben.
…the felicitous fullfilment of function in living things, more especially the joyful and right exertion of perfect life in man.
Grundlagen weitere
Im Herbst las ich ein gutes Stück in Panajotis Kondylis Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus.
Eine ganz neue Welt tat sich mir auf. Besonders beeindruckend, die lange Geschichte der Rehabilitierung der Empirie, also Daten, Zahlen, Fakten, in der frühen Neuzeit. (Sie war fast 1000 Jahre durch den Platonismus unterdrückt worden.) Als Ergebnis ein neuer Naturbegriff. Interessant dabei, zugleich ein Anti-Cartesianismus.
Leider eine recht schwere Lektüre. Ich gab nach ungefähr Zweidrittel auf. Die Ausleihfrist war auch vorüber.
Und die schöne Literatur
Problematisch. Eigentlich wollte ich gerne mehr Belletristik lesen, aber mich kann nichts reizen. Das beschäftigte mich schon bei meiner Literaturgruppe. Vor Weihnachten fand ich Paul Austers 4321 auf der Straße und schaffte etwa die Hälfte (von 1100 Seiten), bevor ich mich zu fragen begann, wieso ich noch weiter die recht überschaubaren Abenteuer eines Teenagers im New Jersey der 1960er Jahre (unübersehbar Austers eigene Herkunft) verfolgen sollte. Die ersten 500 Seiten waren durchaus in Ordnung, nur, was wollte der Autor letztlich sagen?
Heute morgen hörte ich im Radio, wie ich es regelmässig tue, eine Literaturempfehlung für eine holländische Autorin (Niña Weijers: „Ich. Sie. Die Frau“), die über die Probleme von Frauen im Alter von +30 Jahren schreibt. Sollte ich das wirklich lesen?
Meine Schwierigkeit mit solcher ‚Lyrik‘, wenn es um ernste Dinge geht, wäre es nicht besser, sie in einem Sachbuch abzuhandeln? Was kann die Fiktion noch leisten? Und insgesamt die Kunst? Daher meine starke Neigung, meine Textsinnsuche in der Philosophie zu befriedigen, zumal die Grenzen, wie James Clifford zu zeigen versuchte, zunehmend verschwimmen.