Kunst jenseits des Marktes

Kunst auf Lager

Kunst auf Lager

Zu den wunderlichsten und hartnäckigsten Beschwörungsformeln im Kunstkontext gehört die einer ‚Kunst abseits oder jenseits des Marktes‘. Die Implikation dabei ist in der Regel, dass Kunst nur außerhalb des Marktes, – Kunstmarkt ist wohl immer gemeint, frei und sie selbst sein könne. Kunst, die in welcher Weise auch immer, den Bedingungen des Marktes folge und gehorche, sei falsche, unfreie, beschädigte Kunst. Kunst unterhalb ihrer Möglichkeiten.

Ich fand die Tage diesen Tweet von Bazon Brock:

Wir müssen nicht nur für eine Kunst jenseits des Marktes kämpfen, sondern auch für Bekenntnisekel vor Kunstgläubigkeit. [Q]

Dabei mag der zweite Halbsatz einschränkend gemeint sein, wenn auch der dem Tweet angehängte Link, die Vermutung nährt, es sei der Kunstmarkt, der Künstler zu den im Artikel karikierten Exaltationen treibt.

Leider bekam ich auf meine Nachfrage zur Bedeutung einer ‚Kunst jenseits des Marktes‘ von Bazon Brock bislang keine Antwort. Daher behandele ich seine Formulierung als allgemeines Symptom.

Generell bemerke ich:

1) Formeln und Floskeln, die Kunst, verstanden als wahre Kunst, in Gegensatz zu Markt oder Kunstmarkt stellen, sind sehr häufig anzutreffen.

1.1.) Es sei nur sehr vorläufig bemerkt, dass die Formel „xxx jenseits des Marktes“ nicht auf die Kunst beschränkt bleibt, sondern allgemein in linken Kontexten zu finden ist.

1.2.) Mit ‚Markt‘ ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Eigenschaft der Orientierung an der Nachfrage gemeint. Das mögen Menschen im Kulturbetrieb nicht, weil es der Vorstellung der Autonomie zuwiderläuft. Kultur ist bei uns vor allem vom Angebot aus gedacht, egal, ob es jemand annimmt oder nicht. Da das Angebot in der Regel nicht genutzt wird, kommt schnell der Ruf nach dem Staat auf. Wenn der Staat aushilft, wird noch mehr Angebot erzeugt, das wiederum nicht konsumiert wird und so fort.

2) Dabei bewegen sich die meisten Künstler außerhalb des Kunstmarktes. Sie haben keine Galerien, sie sind nicht in größeren und überregionalen Ausstellungen (und Publikationen) präsent. Sie verkaufen nichts oder nur sehr wenig. Sie sind arm. In den USA sollen nur 12% der Künstler eine Galerie haben. Selbst das halte ich für übertrieben. Es könnten noch weniger sein.

Quelle 1Quelle 2

3) Nach Schätzungen von Hans Abbing beträgt die Staatsquote im Kunstbetrieb in Holland (und wahrscheinlich auch in Deutschland) mehr als 90%, vielleicht sogar 99%. Das heißt, der Staat, die Kulturpolitik ist DER entscheidende Akteur im Kunstbetrieb.

3.1.) Es ist daher anzunehmen, dass eine ‚Kunst jenseits des Marktes‘ in unseren Breiten sich in vollständiger Abhängigkeit von der Kulturbürokratie befindet. Ein weiteres Jenseits scheint kaum vorstellbar.

3.1.1.) Die Staat ist nicht neutral. Er vertritt gegenüber der Kunst und den Künstler eigene Agenden und Zielsetzungen. Abbing betont zB., dass der Staat ’schwierige‘ (und daher tendenziell unpopuläre) Kunst bevorzuge. Sie befördere die Anmutung einer mäzenatischen Haltung.

3.1.1.1.) Künstler sind durchaus nicht frei unter der staatlichen Kulturförderung. Sie versuchen zu verstehen, was der Staat will, was ‚ankommt‘ und richten sich danach. Ein Beispiel.

3.1.2.) Entgegen der landläufigen Meinung ist der Staat nicht immer großzügig. Er fördert nicht. Er kauft ein. Gerade weil es keinen Markt als Regulativ gibt, kann der Staat dabei die Preise bestimmen. Der Staat zahlt, wo immer möglich, sehr geringe Preise. Das trifft vor allem die Einzelkünstler.

4.) Auch wenn es nach einem ad-hominem Argument klingen mag, ist es bemerkenswert, dass marktkritische Formulierungen gerade von Universitätsprofessoren, also Staatsbeamten, kommen. Peter Weibel war u.a. Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; Bazon Brock war Professor an der Universität Wuppertal. Beide werden wahrscheinlich aus dieser Tätigkeit eine angemessene Pension beziehen.

4.1.) Die Vorstellung eines Marktes, der die freie Kunst korrumpiere, wird schon an Kunsthochschulen gepflegt. Auch hier sind die Professoren als Beamte und das weitere Personal, das oft eine beamtenähnliche Absicherung besitzt oder anstrebt, die treibenden Kräfte.

4.1.1.) Dass unter den Professoren einer Kunsthochschule oftmals Künstler anzutreffen sind, die eine besondere Position im Kunstmarkt haben oder hatten, muss kein Widerspruch sein. Sie wissen genau, dass ihr Erfolg von kurzer Dauer sein kann und schätzen den sicheren Hafen einer Beamtenstelle. Gerade im Hinsicht auf die Pension.

4.1.2.) Marktorientierte Einstellungen finden sich an Kunsthochschulen eher in den ‚angewandten‘ Feldern Grafik, Design, Architektur. Ihre Vertreter werden oftmals von den Kollegen im ‚freien‘ Bereich gering geschätzt und als ‚kommerziell‘ gebrandtmarkt.

Entsprechend wurden auch Studenten abgekanzelt, die im Verdacht standen, marktkonform zu arbeiten. Ein beliebter Spruch an der Hamburger Kunsthochschule war: „Damit kannst Du an die Armgartstraße gehen.“

4.1.2.1) Da die Volatilität der Karrieren im angewandeten Bereich heutzutage auch nahe an dem der ‚freien‘ liegt, findet sich auch bei ihnen die in 4.1.1. beschriebene Haltung: an der Kunsthochschule ist es warm und kuschelig.

These

Wer von einer ‚Kunst jenseits des Marktes‘ spricht, geht tendenziell davon aus, dass sich die Einkommenssituation der Künstler in sehr wenige aufteilt, die gut verdienen (darunter natürlich die Hochschullehrer) und den Rest von wohl 90%, die sehr wenig oder gar nichts verdienen. Denn der Staat zementiert genau diesen Zustand.

Wie ich die Tage schon in meiner Radiosendung besprach, werden gewöhnliche Tätigkeiten regulär bezahlt, während die Künstler leer ausgehen.

Da die Jensseits-des-Marktes Rhetorik oft mit linken Ideen der Gleichheit und Solidarität einhergeht, ist das besonders bitter. Denn sie ist defacto genau ihr Gegenteil, nämlich neoliberal.

  

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