Die Tage fand ich einen Filmstreifen im Format 6×6, der mit „München September 1987“ beschriftet war. Ein Bild daraus zeigt mich schemenhaft im Schaufenster eines Autohändlers am Odeonsplatz. Wenngleich damit erwiesen ist, dass ich mich in München befand (ich habe extra den Ort in G–gl-Maps nachgeprüft), kann ich mich nicht mehr daran erinnern, warum ich überhaupt im September 1987 in München war.
Mein ausführliches Tagebuch, das sicherlich dazu Auskunft gegeben hätte, liegt nach Auflösung des Hauses meiner Mutter irgendwo in einer Kiste in einem Lager in Berlin.
Mir kommt die Zeitangabe rätselhaft vor, weil in meiner Erinnerung kein besonderer Anlaß zu einer Reise nach München bestanden hatte. Den Sommer 1987, Juli und August, hatte ich bei meinen Eltern mit einem Werkspraktikum eines örtlichen Maschinenbauunternehmens verbracht. Der Aufenthalt verlief nicht sonderlich harmonisch, so dass ich nach Ende des Praktikums, Anfang September mit großer Erleichterung nach Hamburg zurückreiste.
Mein Studium an der HfBK Hamburg sollte ich im Oktober 1987 fortsetzen. Das stand fest. Einziger Grund nach München zu fahren, immerhin eine damals ordentliche Strecke mit dem Zug, hätte in einer möglichen Änderung meiner Studienpläne bestanden.
Soweit ich noch erinnere, war ich aber mit solchen Plänen schon im Jahr zuvor, 1986, in München vorstellig geworden. Prof. Reipka hatte zwar meine Arbeiten mit einem gewissen Wohlwollen betrachtet, einen Studienerfolg an der Akademie in München aber deutlich skeptischer gesehen (ich erinnere noch eine Postkarte von ihm dazu an mich in Hamburg). Eine erneute Bewerbung in München scheint heute angesichts des Zeitpunkts zweifelhaft, denn das Semester hätte schon im Oktober begonnen. Da bewirbt man sich nicht erst im September. Weiterhin müsste ich eigentlich schon erste Pläne für einen Wechsel nach Wien ins Auge gefasst haben. Nach einem Besuch dort im Mai 1986, unternahm ich eine zweite Reise im November 1987. Auch dies widerspricht einem Zusammenhang mit der Akademie. (Ich muss überhaupt froh sein, dass ich nie in München angenommenen worden war. Schon wenige Monate später kam BJ Blume aus München nach Hamburg und mit ihm eine Reihe Studenten, die erleichtert den konservativen Geist der Münchener Akademie hinter sich gelassen hatten.)
Bis ich Einblick in mein Tagebuch nehmen kann, bleibt als vorläufige Erklärung, dass es sich bei der Reise nach München um einen ‚Ausflug‘ handelte. Das Praktikum in der Fabrik hatte mir ein nettes Taschengeld beschert, das ich dort edel verschwenden wollte. Möglich?
Im Lenbachhaus
Jedenfalls zeigt der Filmstreifen noch einige Aufnahmen der Beuys Installation Zeige deine Wunde im Lenbachhaus. Zu der Zeit war das einer meiner bevorzugten Kunstorte.
Wie ich Wikipedia entnahm, befand sich das Kunstwerk schon seit 1980 im Lenbachhaus, während ich 1986 angenommen hatte. Dann hätte ich es eigentlich schon 1982 bemerken können, dem Jahr, in dem ich das Lenbachhaus zu ersten Mal in deutlicher Erinnerung behielt (wir hatten im Sommer den Urlaub am Staffelsee verbracht). Vielleicht war mir aber 1982 die Arbeit von Beuys noch gar nicht verständlich. Vier Jahre später induzierte gerade mein erstes Jahr an der von Beuys inspirierten Freien Kunstschule Hamburg, neben seinem Tod im Januar 1986, eine besondere Sicht auf die Installation, die mir dadurch frisch und unerhört vorkam.