Vorweg möchte ich bemerken, dass ich mich in letzter Zeit bei der Lektüre sehr schwer getan habe. Mir fehlte es an grundsätzlicher Begeisterung, deren Abwesenheit bis in meinen Urlaub in Schweden hineinreichte. Daher sah ich die Bücher, die ich auf der Hütte dabei hatte, als Kompromiss an.
Also, ich las:
Das Heilige und das Profane
Klassiker von Mircea Eliade, der sehr eindrücklich und plastisch die Erscheinung des Heiligen darstellt, eine Erfahrung, die uns Menschen des 21. Jahrhunderts kaum mehr zugänglich ist.
Das Profane wird dagegen im Buch eher zurückhaltend abgehandelt, teils als die blosse Abwesenheit des Heiligen. Somit bleibt unklar, wodurch sich unsere Zeit, die von Profanität geprägt ist, genau auszeichnet. Dazu müsste Eliade präziser werden und eine Definition des Profanen versuchen, bei der vielleicht Begriffe wie Vernunft oder Rationalität gebraucht würden. Genau die scheint Eliade aber vermeiden zu wollen, denn dann müsste er das Heilige dem Verdacht des Irrationalen aussetzen, womit er dann bei der Stoßrichtung angelangt wäre, von der die Moderne ausging. Der Ansatz des Autors liegt dagegen darin, seinen Gegenstand, eben das Heilige oder Magische frei von Wertung auszustellen.
Die Gabe
Ebenfalls ein Klassiker der Ethnologie. Marcel Mauss behandelt im ersten Teil sehr ausführlich die unterschiedlichsten Bräuche des Schenkens und Beschenktwerdens, immer auch mit losen Bemerkungen zu den Praktiken unserer Zeit, die noch in Verbindung zu den Weisen der Ahnen zu stehen scheinen.
Ein wenig seltsam dann der Abschnitt, worin er eine Art Revitalisierung des außereuropäischen Treibens in Form konkreter politischer Programme fordert. Das mag vielleicht eine Reaktion auf die im 1. Weltkrieg erlebte und zu seiner Zeit (die 1920er Jahre) noch fortdauernde sozio-ökonomische Katastrophe gewesen sein. Hätte Mauss noch länger gelebt, hätte er festgestellt, dass ab den 1950er Jahren der moderne Wohlfahrtsstaat keynesianistischer Prägung genau das umgesetzt hatte, – Solidarität, Fürsorge, Umverteilung von oben nach unten, Verschuldung zum vermeintlichen Wohle aller. In Schweden mit dem Begriff Folkhemmet verbunden.
Worin mir das Buch von keine Hilfe war, war der Versuch, Geben und Schenken im Kunstkontext besser zu verstehen. Ausgehend von den Untersuchungen Hans Abbings, der von einer besonderen ‚Gift-Economy‘ spricht, die das Kunstsystem durchdringt, also in Form von Preisen, Stipendien und weiteren Gratifikationen, die nicht an eine spezifische Leistung gebunden sind und im Gegensatz zum übrigen Wirtschaftsleben keinem direktem Lohn entsprechen, bleibt dabei unklar, was diese Neigung zu Geschenken das System genau kostet, wer darin die Gewinner und wer die Verlierer sind und warum sich die Beteiligten überhaupt darauf einlassen. Hier hätte ich gehofft, von Mauss mehr über die ‚Kosten‘ des Gebens und Nehmens bei unseren Vorfahren und Verwandten außerhalb unserer Kultur zu erfahren.
The Art Circle
George Dickie ist bei uns nahezu unbekannt, was sich in fehlenden Übersetzungen und umständlicher Beschaffung niederschlägt. Anstelle seiner Hauptwerke Aesthetics. An Introduction. (1971) und Art and the Aesthetic. An Institutional Analysis. (1974) konnte ich in der hiesigen Unibibliothek nur das schmale Bändchen The Art Circle. A Theory of Art. (1984) ausleihen.
Dickies Ansatz besteht in einer Institutionstheorie der Kunst, die ungefähr besagt, dass Kunstwerke ihren Status nicht aufgrund besonderer Eigenschaften (Form und Farbe), sondern durch Institutionen der Kunstwelt erhalten, wobei Institution sehr weit gefasst ist und jenseits klassischer Auffassung etwa eines Museums reicht. Damit liegt er in der Nähe Arthur C. Dantos, sowie des hier im Blog mehrfach erwähnten Claus Borgeest.
Leider stellte mich der sehr knappe und abstrakte Stil Dickies, der teils an formale Logik erinnerte, bei der Lektüre vor erhebliche Probleme, so dass ich noch nicht einmal dieses Büchlein von etwa 100 Seiten beendete. Dennoch bekam ich von seinen Ideen einen ersten Eindruck und hoffe, bei wiederholter Lektüre (ein weiterer Band, den ich in den USA bestellt hatte, traf zwischenzeitlich ein) mehr Ausdauer beweisen zu können.
Dancing Girls
Zuletzt dann noch ein wenig Belletristik nach all der Theorie. Margaret Atwood kannte ich bisher noch nicht, glaubte aber aus ihrer Nähe zu anderen Autorinnen wie Alice Munro oder Doris Lessing Gewinn schöpfen zu können und wurde dabei nicht enttäuscht.
Neben ihrem fast makellosen Stil und den knappen, immer präzisen Beschreibungen, mochte ich mehr noch ihr ‚Inventar‘, Personen und Orte in Kanada der 1960er und 1970er Jahre, angesiedelt in der Glorie und Melancholie der Vorstädte, wie sie rund um die Ära der Vollbeschäftigung entstanden waren. Gäbe es eine Zeitmaschine, ich würde umstandslos in dieses Kanada reisen wollen. Schon bei Alice Munro sprach mich diese blasse und gleichförmige Welt an. Exemplarisch vorgeführt wird sie in der Kurzgeschichte ‚Betty‘, die von der gleichnamigen Nachbarin der Erzählerin in einer der unbestimmten Siedlungen am Rande der Stadt handelt, einer Frau ohne Eigenschaften, könnte man sagen, die einfach da ist und dann nicht mehr, weil sie plötzlich stirbt mit 46. Und das Leben geht weiter.
Drei Geschichten las ich im Urlaub in Schweden. Ich bin sicher, weitere werden folgen.