Ein Glücksgefühl im Wert von 600.000 Euro

Sechshunderttausend Euro

Sechshunderttausend Euro

Machen Sie einen Moment die Augen zu und stellen Sie sich vor, Sie hätten 600.000 Euro auf dem Konto. Was wäre Ihre Reaktion?

Hätten Sie ein gutes Gefühl oder dächten Sie vielleicht: Oh nein, soviel Geld. Das brauche ich nicht. Ich bin auch so glücklich.

Künstlerarmut

Die meisten Künstler in Deutschland leben mit einem sehr geringen Einkommen, aber es ist nicht direkt sichtbar, worin seine Konsequenz besteht.

Ich habe daher zwei Werte miteinander verglichen: das allgemeine Durchschnittseinkommen in Deutschland (37.180€), das sich direkt aus dem Bruttosozialprodukt ableitet und das Durchschnittseinkommen der Bildenden Künstler (17.130€), das sich aus den Meldungen an die Künstlersozialkasse (KSK) ergibt. Beide Zahlen sind Abstraktionen von den wirklichen Lebensverhältnissen.

Künstler verdienen gerade einmal 45% des Durchschnittseinkommens. Wahrscheinlich sogar weniger, denn mit Sicherheit gehen nicht alle Meldungen an die KSK auf genuin künstlerische Arbeit zurück. Sie können damit schon als arm bezeichnet werden. Wenn das schon wenig erscheint, dann vergrößert sich der Einkommensunterschied im Laufe eines Erwerbslebens auf eine beträchtliche Summe, wie die folgende Grafik zeigt.

Grafik. Einkommensentwicklung. Durchschnittseinkommen vs. Künstlerisches Einkommen.

Einkommensentwicklung. Durchschnittseinkommen vs. Künstlerisches Einkommen.

Wenn wir der Einfachheit halber von einem gleichmäßigen Einkommen über 30 Jahre ausgehen, dann verdient der Normalarbeiter in dieser Zeit etwa 1.000.000 Euro, ein Künstler dagegen etwas mehr als 400.000 Euro, so dass am Ende sich ein Einkommensunterschied von beinahe 600.000 Euro ergibt. Eine beachtliche Summe.

Nach einer kürzlich erhobenen Studie beträgt das Jahreseinkommen in Deutschland sogar 42.190€. Das ergäbe dann 1.265.000€ im Berufsleben und einen Einkommensunterschied zu Künstlern von 780.000€.

Wenn ein Künstler in Rente geht, fehlen ihm 600.000 Euro. Da von diesem Fehlbetrag auch keine Rentenbeiträge gezahlt wurden, setzt er sich dann auch in der Rente fort, die entsprechend niedrig ausfällt. Die KSK kann das nur marginal ausgleichen. (Wahrscheinlich werden sehr viele Künstler im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein.)

Natürlich sind diese Zahlen nur Näherungswerte. Man könnte zum Beispiel annehmen, dass ein Künstler keine 40 Stunden die Woche arbeitet und daher auch weniger Einkommen erzielt. Man könnte aber auch annehmen, dass ein Künstler von seiner Ausbildung mit anderen Hochschulabsolventen zu vergleichen wäre und er daher in seinem Erwerbsleben einen höheres Einkommen erzielt hätte. Dann wäre der Einkommensunterschied noch drastischer ausgefallen. (Die gesamte Situation verkomplizierend, sei noch angemerkt, dass nicht alle Künstler arm sind. Sehr wenige von ihnen erzielen ein extrem hohes Einkommen, das ihrer Ausbildung kaum entspricht und im Vergleich zu anderen Berufen als besonders zu bewerten ist. Im Effekt produziert dieser Umstand das subtile Gefühl, alle könnten einen solchen Erfolg schaffen, während die, die es nicht schaffen, auf schwer fassbare Weise versagt hätten.)

Schock mich

Ich muss sagen, dass ich nach der recht einfachen Berechnung einigermaßen überrascht war. 600.000 Euro sind keine kleine Summe. Selbst wenn ich annehme, wie ich an Bekannten oder den Eltern bemerkte, dass dem normalen Arbeitnehmer dieser Betrag nicht automatisch zur Verfügung steht. Die Anforderungen und Härten des Arbeitslebens verlangen nach gewissem Ausgleich, sei es in umfangreicherem Urlaub, sei es an anderen „Belohnungen“, die ‚man sich gönnt‘. Aber zu Teilen gilt das auch für Künstler. Nur, weil sie weniger verdienen, muss ihr Leben nicht angenehmer sein.

600.000 Euro sind eine Menge Geld. Jetzt werden manche Kollegen, die ich schon vorher nach den Konsequenzen und Kompensationen ihres Arbeitsmodells befragt hatte, antworten: sie hätten vielleicht weniger Geld, aber ihre Zufriedenheit leide nicht darunter. Eher im Gegenteil. Ihr selbstgewählter Lebensentwurf, ein Stück abseits bürgerlicher Normalität, mache den Mangel an Geld wieder wett. Die Formel mehr Geld = mehr Zufriedenheit gelte für sie nicht.

Auch ich habe oft so gedacht. Wenn ich nun sehe, wieviel Geld mir im Vergleich zu einer durchschnittlichen Biografie fehlt, kommen mir Zweifel. In jungen Jahren dachte ich auch weniger in materiellen Dingen. Mit zunehmendem Alter sehe ich aber, dass Geld vielleicht nicht direkt Glück, sondern auch ein Stück Bequemlichkeit, Komfort und Sicherheit kaufen kann. Ja, es gibt tatsächlich Kollegen, die sich mit 50+ fragen, ob sie sich eine Zugfahrt leisten können oder ob sie lieber den Fernbus nehmen sollten. Denke ich an einen meiner Wünsche, – das kleine Haus auf dem Land -, dann liegt es auch an meinem (relativen) Geldmangel, dass ich mir ihn noch nicht erfüllen konnte. (Zugegeben ein schon recht luxeriöser Wunsch. Aber bestimmt findet jeder für sich den adäquaten.)

Einen interessanten Vergleich in einem der Kunst nahen Feld hat die israelische Soziologin Eva Illouz für den Bereich der Liebe gefunden. Ähnlich der Kunst mag die Liebe behaupten, sie brauche nicht viel Geld zu ihrem Glück, ja, es könne ihr sogar schaden. Eva Illouz hat jedoch in ihren Untersuchungen diese landläufige Einstellung relativiert. So seien Paare mit niedrigem Einkommen in ihrer Beziehung unglücklicher als wohlhabendere Paare, einfach, weil ein geringes Einkommen Stress und einen niedrigeren Status bedeutete, der sich kaum vom Zustand der Beziehung fernhalten ließe. Umgekehrt seien Frauen der oberen Mittelschicht strengeren Konventionen unterworfen als Frauen der Unterschicht. Ihr materieller Status ermögliche ihnen aber sich leichter Hilfe einzukaufen, sei es in Form von Therapie, Coaching oder einfach nur Wellness. (in E. Illouz, Konsum der Romantik)

Vielleicht werden einige erwidern, dass diese Künstler doch trotz ihrer Armut etwas an die Gesellschaft zurückgäben, in Form ihrer Werke, die auf vielfältige Weise in die allgemeine Rezeption und Wertschätzung von Kultur diffundierten. Dieser Vorgang mag wohl stattfinden, aber er ist schwer zu messen. (Man schaue dazu einmal auf Social Media. Ein Account dort, etwa bei Twitter, vermittelt leicht das Gefühl, die ganze Welt höre einem zu. Sieht man dagegen auf die Likes und die weitere Statistik wird man feststellen, dass die sogenannte ‚Reichweite‘ sehr gering ist.)

Daher mögen Glück und Zufriedenheit individuelle Gefühle sein und somit individueller Bewertungen unterliegen, aber wir sollten im Rahmen dieser Untersuchung nochmals bemerken, dass es nicht um Abwägung und Befindlichkeit einzelner geht, sondern um eine große Zahl von Menschen. Allein in der KSK sind zur Zeit im Bereich Kunst 66.000 Mitglieder angemeldet. Jedes Jahr gehen ihnen etwa 1.32 Milliarden Euro verloren. Das entspricht ungefähr dem Bundeskulturhaushalt!

Wenn ich mich ehrlich frage, sind 600.000 Euro ein Leben voller Entbehrungen und einiger Glücksgefühle, die der normale Mensch nicht kennt, wert? Da bin ich mir nicht mehr sicher.

Bezahl mich

Wenn wir einem Moment von der persönlichen auf die allgemeine Ebene zurückgehen und den hier beachteten Einkommensunterschied auf die gesellschaftliche Ebene heben, die davon gekennzeichnet ist, dass dabei nicht die persönliche Entscheidung, diesen oder jenen Beruf zu ergreifen und mit seinen spezifischen Bedingungen zurechtzukommen, massgeblich ist, sondern, dass die Gesellschaft diese Berufe und ihr jeweiliges Feld, also Künstler und Kunst aktiv produziert, so wird schnell deutlich, dass in diesem Fall keine Lösungen in Sicht sind.

Gerade erst hat die Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen, Frau Pfeiffer-Poensgen, erklärt, sie wollte die „soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler wirklich verbessern“. Wie will sie das anstellen?

Kulturhaushalt der Stadt Frankfurt. Blockdiagramm der größten Ausgabenposten. (Enthält auch Sport)

Kulturhaushalt der Stadt Frankfurt. Blockdiagramm der größten Ausgabenposten. (Enthält auch Sport)

Wenn man unter der „sozialen Situation“ einen eklatanten Einkommensunterschied versteht, dass müsste es zu massiven Transferleistungen kommen. Ein grobe Schätzung käme zu dem Schluss, dass bei etwa 1.000 professionellen Künstlern in Frankfurt (Annahme Kulturamt Frankfurt) ein jährlicher Betrag von 20 Mio. Euro nötig wäre, um ihr Einkommen an das des Durchschnittseinkommens anzugleichen. Während die Stadt Frankfurt etwa 200 Mio. Euro pro Jahr für Kultur insgesamt ausgibt, worin alle Museen und alle Bühnen enthalten sind, wären das 10% aller Ausgaben. Wer einmal im Kulturausschuss miterlebt hat, wie erbittert dort um ein paar tausend Euro gestritten werden kann, wird einsehen, dass selbst ein Zuschuss von 10% (= 2 Mio. Euro oder 1% des Haushalts) zum Einkommensunterschied vollkommen utopisch wäre.

1.6% Einkommenszuwachs durch Kulturförderung

Wie ich an anderen Stelle zum Elbkulturfonds in Hamburg berechnet habe, ist staatliche Kulturpolitik praktisch nicht in der Lage, das geringe Einkommen vieler Künstler komplett auszugleichen. Alle kulturpolitischen Instrumente geben nur einen bescheidenen Beitrag zum Gesamteinkommen der Künstler. Man nehme als Beispiel eine der höher dotierten Leistungen, ein Atelier- oder Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung. Das wären 20.500 Euro. Die werden 1x an einen Künstler vergeben. Eine Wiederholung ist nicht vorgesehen. 20.500 Euro sind gerade einmal 4,2% im Erwerbsleben eines Künstlers. Es sind noch weitere Preise und Förderungen denkbar, aber ihre Kombination setzt wiederum eine Reputation voraus, die nur sehr wenige Künstler erreichen. Wenn man dazu noch einrechnet, wieviele Künstler keinen Preis von der Hessischen Kulturstiftung bekommen, also leer ausgehen, relativiert sich die Förderleistung nochmals dramatisch. Im Spiegel der Öffentlichkeit, in den Medien, wirkt eine Institution wie die Hessische Kulturstiftung ungemein großzügig, im Gesamtkontext ihres Beitrags zu den Einkommen der Künstler leistet sie erschreckend wenig. Ähnliches ließe sich auch zu den vielen Kunstpreisen sagen, die landauf landab vergeben werden. Ein schönes Feuerwerk, begleitet von lobhudeligen Reden, die aber niemanden satt machen.

Wir nennen es Arbeit

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die normale, bürgerliche Arbeit gegenüber der künstlerischen Arbeit eine beachtliche Wertschöpfung über das gesamte Arbeitsleben erzielt. Da die bisherige staatliche Kulturförderung nicht in der Lage war, diesen Einkommensunterschied auszugleichen und da auch in Zukunft nicht damit zu rechnen ist, kann eine Lösung nur darin bestehen, künstlerische Arbeit an die bürgerliche Arbeit anzugleichen.

Dabei sollten wir bemerken, dass es Bereiche in den Künsten gibt, in denen eine an allgemeinen Massstäben gemessene Bezahlung üblich ist. Das sind vor allem die Bühnen und Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Orchestermusiker, Chorsängerinnen, Dirigenten, Schauspieler, Dramaturginnen, Regisseure, Choreografinnen, Tänzer und weitere Berufe werden dort nach Tarif bezahlt und arbeiten auf festen Stellen. Dass diese Art von Anstellung in den bildenden Künsten weniger üblich ist, darf als Ergebnis einer Konvention betrachtet werden, denn es besteht kein Grund oder Hindernis, warum eine Ausstellungshalle oder ein Kunstverein nicht auch Künstler fest anstellen, zur Herstellung von Kunstwerken verpflichten und entsprechend bezahlen sollte. Nur, weil es uns ungewohnt erscheint, muss es nicht unmöglich sein. (Nebenbei können wir auch feststellen, dass unter der Hand jederzeit Kunstwerke bestellt oder in Auftrag gegeben werden. Sowohl durch Sammler, Galeristen und Institutionen. Es bleibt nur in der Regel verdeckt.)

Ungeachtet der Vorstellung von fest angestellten Künstlern, bleibt dabei unklar, wie viele von ihnen in einem solchen System unterzubringen wären. Nicht alle werden wollen oder können, so wie es auch im Bereich der Bühnen freie Schauspieler und andere ungebundene Tätigkeiten gibt. Hier müssten andere Maßnahmen greifen, um ihre Armut zu verhindern.

Die Botschaft lautet:

1) Es ist in vielen Berufen und Lebensumständen möglich für ein Ideal auf Einkommen zu verzichten und weniger zu verdienen als der Durchschnitt, aber es dürfte kaum eine Berufsgruppe geben, in der der Einkommensverzicht (der keineswegs immer freiwillig ist) bei gleichzeitiger Selbst- und Fremdverklärung der Umstände so systematisch und gegenwärtig ist wie in den Künsten.

2) Der hier betrachtete Einkommensverlust der Künstler erspart dem Kunst- und Kulturbetrieb diese Ausgaben. Er ist daher als eine Form der Subvention durch die Künstler zu betrachten.

  

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