Die Tage, als ich gerade nachdachte, ob und unter welchen Umständen eine Rückkehr nach Hamburg für mich möglich sein könnte, erreichte mich die Nachricht vom Ende der Kunstbuchhandlung Sautter+Lackmann in der Admiralitätstraße. Eine traurige Sache, die zugleich auch meinen Zwiespalt gegenüber kulturellen Institutionen offenlegte.
Ohne Zweifel bedeutet das Aus für die Buchhandlung einen schweren Schlag für das direkte Umfeld auf der Fleetinsel, vielleicht sogar für die Hamburger Innenstadt, denn man konnte sie mit Sicherheit als einen der Anker des dortigen Geschäftsumfelds bezeichnen. Auch die Galerien und weitere Läden werden in Mitleidenschaft gezogen werden.
Offiziell wurde, mehr als verständlich, Corona als Grund für die Aufgabe des Unternehmens genannt. Ich bin jedoch sicher, dass die Schwierigkeiten die Buchhandlung schon einige Jahren früher ereilt hatten und in Teilen ihren Ausgang im allgemeinen Niedergang des stationären Handels und veränderten Lesegewohnheiten nahmen.
Ich frage mich, wer kauft eigentlich noch Kunstbücher?
Wenn ich daran denke, wie wir 2016 das Haus meiner Mutter auflösten und dabei vor der Aufgabe standen, etwa 6 Regalmeter Kunstkataloge loszuwerden, um nicht von weiteren Kunstbüchern zu sprechen, enthüllte sich die ganze Tragik des Inhalts-Formats. Von vielen Reisen über die Jahre im In- und Ausland hatten meine Eltern regelmäßig und mit Selbstverständlichkeit Kunstbücher mitgebracht, die sich Stück um Stück in den Regalen abstellten. Ob sie nach ihrer Anschaffung je gelesen wurden, wage ich zu bezweifeln, aber es gehörte zum bildungsbürgerlichen Auftrag, sie zu besitzen und zu bewahren und ihnen ein freundliches Heim zu geben. Aber schon wir Kinder konnten, als sie an uns übergingen, nichts mehr mit der schieren Menge anfangen, ganz abgesehen davon, dass sie inhaltlich nicht mehr meinen Vorlieben entsprachen. Drei Meter Expressionismus, Ernst-Ludwig Kirchner und der blaue Reiter, Gabriele Münter-Jawlensky-Kandinski, Paula Modersohn-Klee und noch Schmidt-Nolde-Rottluff, – schön und gut, nur nicht mehr für mich.
Niemand wollte die Bücher haben. Ich hatte in diversen Medien annonciert, auch einen Bekannten mit Antiquariat befragt („Du kannst sie mir gerne vorbeibringen, bezahlen will ich doch nichts davon….“), ohne Erfolg. Schließlich erbarmte sich mein Onkel, kam mit dem Kleinbus vorbei und brachte sie zur Charity, wo sie für einen guten Zweck abverkauft wurden. Traurig.
Um die Umstände in eine Diagnose zu fassen, müssten wir feststellen, dass das fehlende Interesse an Kunstbüchern in der Provinz wahrscheinlich auch bis nach Hamburg, bis vor die Türen der Buchhandlung Sautter+Lackmann gereicht hatte. Wäre Corona nicht gekommen, hätten sie vielleicht noch ein paar Jahre weiter gemacht. Es wäre ein schleichender Tod geworden.
Wie die Buchhandlung so die ganze Innenstadt
Wie ich so darüber sinniere, wird mir deutlich, wie sehr sich das Einkaufserlebnis, das ich aus meiner Kindheit kannte, seitdem, in den letzten 40 Jahren, verändert hat. Damals fuhren meine Eltern an den langen Samstagen nach Köln zum Einkauf. Fast alle Geschäfte, die ihnen und in Teilen auch mir, mit zunehmendem Interesse beim Heranwachsen, etwas bedeutet hatten, gibt es nicht mehr. Den Plattenladen, den Buchladen, das Möbelgeschäft, den Herrenausstatter, den Schreibwarenladen (Füllfederhalter!), das Künstlerbedarfsgeschäft, den Elektronik- oder Hifi-Laden, das Fotogeschäft, den Spielzeugladen. Die sind alle weg. Dazu noch die Kaufhäuser. Die wissen auch nicht mehr, wozu sie noch gut sind.
Man könnte sich fragen, aus was eine Innenstadt heute eigentlich noch besteht und man könnte sich nach den Thesen zur Singularisierung bei Andreas Reckwitz fragen, warum eigentlich dieser Trend zum Einzigartigen und Besonderen nicht ein Revival der Innenstädte und ihrer angeblich so begehrten kleinen inhabergeführten Geschäften erbracht hat? Weil die kaufkräftige Generation der Singularitäten gerne Tränen über den Verlust dieser schnuckeligen Läden vergießt, heimlich aber doch bei dem Versandhaus mit dem großen A im Namen bestellt? Selbst an Orten, die noch ein Gefühl heiler (Einkaufs)Welt vermitteln, nennen wir sie Prenzlauer Berg oder Ottensen, finden sich ganz andere Typen an Geschäften als noch vor 40 Jahren und zwischendrin ist jedes dritte Ladenlokal ein Optiker, ein Friseur oder ein Drogeriemarkt. Den Rest übernehmen Backshops und andere Gastronomieformate. Die lassen sich nicht nach Indien auslagern.
Jetzt bin ich schuld
Mein eigener Beitrag zum Ende der Kunstbuchhandlung Sautter+Lackmann lag in meinem Unvermögen, noch relevante Inhalte in der zeitgenössischen Kunst zu bemerken. Was nicht existiert, kann sich auch nicht in Büchern niederschlagen. Nicht, dass ich nichts konsumiert hätte, selbst Kunstbücher nenne ich nach wie vor mein eigen, allerdings kaum aktuelle. Keine Ausstellungskataloge oder Künstlermonografien. Mein Interesse, mir den Kunstverlust begreiflich zu machen, schlug sich eher in die Richtung der Soziologie, der Ökonomie und der Ethnologie, – alles Gebiete, die nicht mehr notwendig einen Besuch in der Admiralitätstraße erforderten, weswegen ich annehme, dass ich bestimmt schon 4 Jahre nicht mehr dort war. Da zudem viele der relevanten Bücher älteren Datums waren, fand ich mich in regelmäßen Abständen in der Universitätsbibliothek wieder, die mich dort mit den entsprechenden Ausgaben versorgte.
Mein Fall und die mit ihm verbundenen Beweggründe sind sicherlich so speziell, dass sie alleine sicherlich die Buchhandlung nicht in Bedrängnis gebracht hätten, möglich aber, dass sie als die extreme Verdichtung allgemeiner Missstände und Kümmernisse ein Quäntchen mehr an Unglück zum Untergang bedeutet hatten.
Was wird jetzt in dem bald leerstehenden Ladenlokal einziehen? Ein Fitnessstudio? Eine Design-Agentur? Oder ein weiterer Mit-jedem-Cappuccino-rettest-du-die-Welt Outlet?