Drei Bücher auf der Hütte in Schweden

Nachmittäglicher Teetisch in Schweden mit Lektüre

Nachmittäglicher Teetisch mit Lektüre

Auch dieses Jahr kämpfte ich mit großen Schwierigkeiten, anregende und angemessene Lektüre für meinen Hüttenaufenthalt in Schweden zu finden. Ich war sogar drauf und dran, aus Verzweiflung im Büchermarkt in Potsdam einen Schwedenkrimi zu kaufen. So dann las ich:

The Economy of Prestige

Buchcover

J.F. English, The Economy of Prestige

Kunst- und Kulturpreise sind so allgegenwärtig und selbstverständlich, dass niemand sie noch bemerkt, geschweige denn in Frage stellt. Der Literaturwissenschaftler J.F. English unternimmt in seinem Buch eine breite Studie zu Herkunft, Sinn und Zweck dieser Auszeichnungen, deren grundlegende Existenz er keineswegs kritisieren möchte. Denn es sei gerade auch Absicht, durch Preise zu polarisieren und dabei auf eine angeblich reine Kunst zu verweisen. Je mehr Skandal, desto besser. Manche der im Buch besprochenen Vorgänge, etwa der Versuch der Academy, eine Kommerzialisierung der Oscar-Trophäen zu verhindern, muten so seltsam an, dass man sie ohne jede Scheu auch den Riten eines Indianerstamms im tiefsten Regenwald zusprechen könnte.

Dass unsere eigene Kultur, die in den Kulturpreisen gänzlich aufzugehen droht, vollkommen schräg und unverständlich wirken kann und das mit Recht, wird in diesem großartigen Buch, ein wirklicher Meilenstein der Kunstsoziologie, überzeugend demonstriert. Mehr davon, bitte, möchte ich rufen.

Der lange Sommer der Theorie

Buchcover

Philipp Felsch, Der lange Sommer der Theorie

Eine Geschichte des Merve-Verlags, das kann nicht verkehrt sein, dachte ich, als ich zu diesem Buch griff. Wie kein anderer Verlag steht Merve für die Einführung des französischen Denkens und des Konzepts der Postmoderne in Deutschland. Auch mein Bücherregal wiese ohne diese kleinen bunten Bände erhebliche Lücken auf. Ich erinnere noch meine Zeit in Wien der 1980er Jahre, als wir uns an jeder Ecke „Rhizom“ zuriefen.

Leider versteht es der Autor Philipp Felsch nicht, aus dem aufregende Denken eine aufregende Schilderung zu fabrizieren. Selten quälte ich mich so durch einen Text und hätte das Buch gerne nach 50 Seiten weggelegt. Da hätte schon etwas mehr Florian Illies gut getan. Ob die Merve-Verleger Peter Gente und Heidi Paris wirklich so leblos und fad waren, wie von ihnen erzählt wurde? Auch Foucault wirkt mir endgültig verleidet. Ich überlege nur noch, wie ich das Buch mit einigem Geschick loswerden kann.

Wir sind das Licht

Buchcover

Gerda Blees, Wir sind das Licht

In letzter Minute erinnerte ich mich an eine Besprechung der holländischen Autorin Gerda Blees im Radio (schon im Februar) und eilte zur Buchhandlung am Savignyplatz, mir ihren Roman zu sichern. Darin wird erzählt, wie in einer esoterischen WG eine Frau stirbt, verhungert, sich anfangs niemand groß aufregt, bis die Polizei kommt und Ermittlungen anstellt, die durch die Autorin inszeniert ein seltsames Eigenleben entwickeln, so dass auch der Kühlschrank zu Wort kommt und von seiner bekümmernden Leere klagt, die ihm die Bewohner der WG, Anhänger einer obskuren Lichtnahrung (gibt es wirklich!), angetan hätten oder, ganz rührend, das Cello, das aus seinem Exil auf dem Dachboden auf die esoterischen Lauten schimpft, die es zwei Stockwerke tiefer verdrängt haben.

Trotz des traurigen Themas eine durch und durch vergnügliche Lektüre, die bei mir nur noch die Frage aufkommen ließ, ob die Autorin Gerda Blees ihre sachliche und distanzierte Schilderung und besonders ihre auffällige Abstinenz in Sachen Schuldzuweisung vielleicht angesichts von Corona und den Querdenkern, die es bestimmt auch in den Niederlanden geben mochte, aufgegeben hätte? Das Buch erschien Anfang 2020 und heute könnte man sich die störrische Melody, Anführerin der WG, die den Tod der eigenen Schwester in Kauf nahm, vielleicht an der Spitze einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen vorstellen. Hätte die Autorin sie im Lichte militanter Querdenkerei anders dargestellt?

Wir sind die Bücher, könnte ich daher mit Gerda Blees schreiben, und Du hast Dir mit uns in diesem schwedischen Sommer wirklich Mühe gegeben. Wir sind dankbar dafür und wünschen Dir einen lesereichen Herbst.

  

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