Warum Mehrarbeit für Künstler oft nicht lohnt

Diagramm mit Kurve Künstler Einkommen. Wenige verdienen sehr viel. Viele dagegen sehr wenig. Pareto-Verteilung.

Künstler Einkommen. Wenige verdienen sehr viel. Viele dagegen sehr wenig.

Mehrarbeit lohnt sich in der Regel für Künstler nicht. Dieser Gedanke kam mir heute morgen abgeleitet aus dem Verlauf der Einkommensverteilung unter Künstlern. Wenige verdienen sehr viel. Viele dagegen sehr wenig.

Diese Kurve, die der Pareto-Verteilung folgt, lässt sich nicht nur als statisch begreifen, sondern in einem temporalen Verlauf von niedrigen zu hohen Einkommen verstehen, den Künstler im Laufe ihrer Karriere idealerweise durchmessen. (Grundlagen bilden Mengers Cumulative Advantage Model, so wie de Solla Prize’s Preferential attachment process.)

Der erfolgreiche Künstler X verkauft ein Bild für 50.000€. Das ist ein normaler Preis für ihn. Der weniger erfolgreiche Künstler Y kann für ein Bild nur 5.000€ bekommen. Wenn wir annehmen, dass der Aufwand für ein Bild in etwa gleich ist, müsste Künstler Y 10 Mal so viel arbeiten wie sein Kollege X, um das gleiche Einkommen zu erzielen. (In der Praxis ist das kaum möglich, so dass Y ab einem bestimmten Zeitpunkt den Kollegen X nicht mehr einholen kann, ja insgesamt Gefahr läuft, seinen Lebensunterhalt nicht mehr allein mit Kunst verdienen zu können.)

Nach Hans Abbing (s.a. Rosen, Frank/Cook) ergibt sich der Verdienst bei Künstlern nach ihrer relativen Leistung in Bezug auf andere Mitbewerber, so dass schon sehr kleine Vorteile zu enormen Unterschieden im Einkommen führen können. Allgemein spricht man von »Winner-take-all Märkten« (Frank/Cook). Das zeigt sich plastisch an Kulturpreisen. Während noch im Vorfeld heftig spekuliert wird, wer für einen Preis in Frage kommen könnte und dabei meist eine Mehrzahl an Personen im Rennen ist, wird nach der Preisvergabe keiner der Verlierer mehr erwähnt.

Dass die Gewinner in dieser Art von Wettbewerb fast alles mitnehmen, führt im Umkehrschluss dazu, dass Künstler, die sich in den unteren Zweidritteln des Einkommensspektrums bewegen, sehr viel mehr leisten müssen, um nur eine geringe Verbesserung ihres Einkommens zu erreichen. Das Prinzip der relativen Leistung verkehrt sich hier zu ihren Ungunsten. Während diejenigen, die sich im oberen Drittel befinden, fast gar nichts machen müssen, um einen hohen Zuwachs zu erzielen. Man könnte sagen, es fliege ihnen einfach zu. In der Literatur wird dieses Phänomen auch Matthäus-Effekt genannt. „Wer (schon) hat, dem wird gegeben.“

Tabelle Jahreseinkünfte Bildender Künstler. Bei den Männern bleiben 90% im Durchschnitt der bei der KSK gemeldeten Einkünfte. Bei den Frauen sind es 95%. Kaum 2% erreichen Einkünfte, die über das allgemeine Pro-Kopf-Einkommen hinausgehen. Quelle: Statistisches Bundesamt Spartenbericht Bildende Kunst 2021

Jahreseinkünfte Bildender Künstler. Bei den Männern bleiben 90% im Durchschnitt der bei der KSK gemeldeten Einkünfte. Bei den Frauen sind es 95%. Kaum 2% erreichen Einkünfte, die über das allgemeine Pro-Kopf-Einkommen hinausgehen. Quelle: Statistisches Bundesamt Spartenbericht Bildende Kunst 2021.

Um es in einem Bild zu fassen, herrscht im unteren Bereich der Kurve, in der sich das Gros der Künstler aufhält, Stau. Zu viele Künstler stehen zu wenig Gelegenheiten gegenüber. Ausstellungen, Ateliers, Residenzen, Stipendien, Preise, – es gibt immer mehr Bewerber als freie Plätze. Schon die Beteiligung an einer Gruppenausstellung in einem lokalen Kunstverein liegt außerhalb der Reichweite der meisten Künstler. Auch alternative Kunsträume (Offspaces) haben Wartelisten von mehr als einem Jahr. Es herrscht eine ausgeprägte Gratismentalität. Niemand wird bezahlt. Alle arbeiten umsonst. Manche Kunsträume können sogar für Ausstellungsbeteiligungen Geld verlangen. Der Verlauf der Kurve zeigt zudem, dass zwischen billig und umsonst kein signifikanter Unterschied besteht, weswegen auch Versuche, Kunst günstiger anzubieten (s. ›Affordable Art Fair‹) ins Leere laufen. Kunst ist entweder teuer oder keine Kunst.

Künstler verbringen ihre Zeit mit Bewerbungen und Warten. Meist passiert nichts. Nirgendwo wird der Anspruch, durch Fleiß und Anstrengung im Beruf voran zu kommen, stärker diskreditiert als in der Kunst. (Die starke Abneigung, die in den Künsten gegenüber dem bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaften besteht, verkehrt sich in zynischer Weise gegen sich selbst.)

Infolgedessen ist es verständlich, dass viele Künstler kein Interesse haben, ihre Lage zu verbessern. Der Aufwand steht für sie in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Gewinnen. (Auf reziproke Weise müssen die Glücklichen, die am anderen Ende der Kurve leben, auch nichts für ihr Einkommen tun, weswegen sich wohl insgesamt in den Künsten der Eindruck verdichtet, von gemeiner Arbeitsethik vollkommen entkoppelt zu existieren.)

Die Normalverdiener hingegen erreichen nach anfänglichen Schwierigkeiten (Praktika etc.) solide Zuwächse bei den Einkommen, die sich erst mit zunehmendem Alter abschwächen. Für sie macht in der Regel Anstrengung im Job Sinn.

Kulturförderung bringt keine Abhilfe

Aus der Natur der Verteilung und des exponentiellen Wachstums der Künstlereinkommen ergibt sich nahezu zwangsläufig, dass staatliche Kulturförderung nicht in der Lage ist, die Einkommensverluste in den unteren Zweidritteln der Einkommensverteilung auszugleichen. Dazu müsste die Förderung wenigstens um den Faktor 10 bis 100 erhöht werden.

Wer die Umstände der Kulturförderung kennt, die immer der Gefahr unterliegt, dass ihr Mittel gekürzt werden, wird feststellen, dass eine solche Erhöhung außerhalb der haushalterischen Wirklichkeit liegt. Schon Zugewinne einzelner Posten von 10% sind eine Besonderheit. Am Beispiel des Elbkulturfonds hatte ich gezeigt, dass allenfalls 2% möglich sind. Für den Staat ist das billig, für die Künstler hingegen sehr teuer, denn sie können die ihnen entgangene Zuwendung selten anderswo ersetzen und häufen so über ihre Berufslaufbahn ein immenses Defizit an.

Wie schon vor langer Zeit bemerkt, orientiert sich die Kulturförderung immer an den kulturpolitischen Gegebenheiten. Wer wenig hat, wie die Einzelkünstler, bekommt wenig, – wer viel hat, wie die Theater, bekommt entsprechend mehr. Frankfurt leitet 43% seines gesamten Kulturhaushaltes in die städtischen Bühnen (Oper/Theater). Und dieser Posten ist genauso groß wie die ganze weitere Kulturförderung (der Haushaltsposten ›Kulturelle Dienstleistungen und Projekte‹) außerhalb der Museen. [Quelle] Von daher ist davon auszugehen, das 90% aller Kulturförderung nutzlos ist und allenfalls einer Art Wohlfühlmoment entspricht, weniger für die Künstler, als für die arglose Öffentlichkeit, die in der Vorstellung gehalten wird, der Staat sorge schon für die Künstler.

In Hamburg hatte sich vor einigen Jahren eine Interessengemeinschaft verschiedener Kunstinitiativen gebildet, ›Art Off Hamburg‹, die eine Erhöhung ihrer Bezüge um den realistischen Faktor 10 forderten. Soweit ich weiß, ist es dazu aber nicht gekommen. Eine solche Erhöhung hätte die Kulturbehörde bei aller Sympathie für das Anliegen der Künstler niemals durch die Bürgerschaft bekommen.

Eine Künstlergewerkschaft hilft auch nicht

Diagramm mit exponentieller Kurve. Möglicher Einfluss einer Gewerkschaft auf das Einkommen der Künstler

Möglicher Einfluss einer Gewerkschaft auf das Einkommen der Künstler. Mehr als 5% sind unwahrscheinlich.

Aus gleichen Gründen ist auch das, wie auch immer fragliche, Konzept einer Künstlergewerkschaft wenig erfolgversprechend. Gewerkschaftliches Engagement in anderen Bereichen hat historisch gesehen sehr selten Lohnzuwächse von über 5% erreichen können. Je solider die Einkommensbasis der Arbeiter (und das ist heute der Fall), desto geringer der weitere Einfluss der Gewerkschaft.

Im Kulturbereich, in dem die meisten Teilnehmer sehr niedrige Einkommen erzielen, wäre dagegen eine gewerkschaftlich induzierte Einkommenserhöhung von 5% vollkommen unzureichend, ein der allgemeinen Beschäftigung vergleichbares, durchschnittliches Einkommen zu erreichen. Die Kurve macht dieses Defizit sehr deutlich. Der beträchtliche Einkommenszuwachs, den heutige Arbeiter seit dem 19. Jahrhundert erzielen konnten, geht wesentlich auf die Kombination dreier Faktoren zurück. Gewerkschaftliches Engagement, politisches Engagement (durch die SPD) und schließlich durch verbesserte Bildung. Heutige Künstler können weder auf politische Vertretung ihrer Interessen hoffen, noch mit Bildung punkten. Es gibt schlicht keine Partei, die sich für Künstler einsetzte, noch nicht einmal, wenn man sie unter die ›Kreativarbeiter‹ fasste. Die 2002 von Richard Florida ausgerufene ›Creative Class‹ harrt nach wie vor einer politischen Repräsentanz. Wahrscheinlich wird es sie auch nie geben. Zu heterogen sind ihre Interessen.

Ebenso wenig können Künstler auf Bildungsabschlüsse zählen, denn sie spielen im Kunstbetrieb schlicht keine Rolle. Zwar mögen hier und da Studienort und Studiengang (Goldsmiths College in den 1990ern), sowie die Person des Lehrers für Achtung und Anerkennung gesorgt haben, als Startvorteil im Karrierelauf, – einen im engeren Sinne verstandenen Mehrwert besitzen sie nicht. Aus einem Grund: Studienabschlüsse in der Bildenden Kunst bezeugen in Kontrast zu Abschlüssen anderer Fächer keinerlei vergleich- und nachprüfbare Fähigkeiten des Abgängers. Wer den Abschluss einer Kunsthochschule vorweist, belegt nur, dass er an einer Kunsthochschule studiert hat. Mehr nicht.

The Long Tail ist keine Lösung und Kunst ist kein Beruf

Für eine Weile sah es so aus, als hätte das Konzept des Long Tails Abhilfe schaffen können. Es ging davon aus, das der Bereich der Kurve unterhalb der allgemeinen Wahrnehmung (als Long Tail bezeichnet) durch leistungsfähige Suchmaschinen erschlossen werden könnte. Jedes Produkt in einer Nische könnte damit Abnehmer finden. Leider ist diese Hoffnung nicht aufgegangen. Wie der Musikkritiker Ted Gioia kürzlich aufgezeigt hatte, ist im Falle der Kultur genau das Gegenteil eingetreten. Mehr Hits, mehr Blockbuster, mehr Bestseller denn je bestimmen den Kulturmarkt und die Stimmung der Konsumenten. Schon die Grundannahme des Long Tails, Nischenprodukte durch Suchtiefe aufzufinden, war falsch. Die meisten Menschen gehen bei Suchergebnissen von Google & Co. nie über die erste Seite hinaus. 70% klicken auf die ersten 10 angebotenen Links. Auch hier wird die Pareto-Verteilung perfekt bestätigt.

Ein großer Teil der Künstler, wahrscheinlich mehr als 98%, kann direkt aus ihrer künstlerischen Arbeit kein adäquates Einkommen erzielen. Mehrarbeit erbringt kaum Verbesserung, Hilfe von außen in Form von Kulturförderung ist nicht in Sicht.

Daher ist es nachvollziehbar, dass viele Künstler in Bezug auf ihre künstlerischen Fähigkeiten resigniert haben. [Künstler sind aber gut darin, ihren Verzicht positiv zu erklären, als lohnender, wertvoller Müßiggang etc. Bis hin zur offensiven Verteidigung des Nichtstuns.] Sie generieren daher notwendiges Einkommen aus anderen Quellen.

Arbeiten sie in kunstnahen Bereichen (Design, Pädagogik), können sie immerhin von der ökonomischen Wertschätzung profitieren, die diese Bereiche genießen. Der Preis dafür ist die Doppelbelastung, in zwei Berufen tätig sein zu müssen, wie auch das Gefühl, gegenüber den wenigen Künstlern, die tatsächlich von ihrer Kunst leben können, zurückzubleiben.

  

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