3000 Euro steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung

3000 Euro Inflationsausgleich

Am Morgen vermeldete das Radio einen „Tarifabschluss“ im öffentlichen Dienst. Dazu gehörte, so die ersten Takte der Nachricht, eine „steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 3000 Euro“. Mir kam sogleich der Gedanke: Und was bekommen Künstler? Nichts. NICHTS.

Auf Twitter schlug die Veröffentlichung meiner schlichten Überlegung erhebliche Wellen. (Normalerweise interessiert sich dort niemand für die ökonomische Lage der Künstler. Es lag aber wohl eher am Wort Tarifabschluss als am Wort Kunst.)

Daher möchte ich meine Gedanken ausführen:

Was hat der öffentliche Dienst mit Künstlern zu tun?

Der öffentliche Dienst steht, sehr vereinfacht, für Leistungen, die nicht durch Marktgeschehen (im Sinne von Angebot und Nachfrage), sondern aufgrund von politischen Entscheidungen erbracht werden. Es handelt sich, auch sehr vereinfacht, um eine angebotsorientierte Planwirtschaft. Eine wahrhaft politische Ökonomie.

Das Spektrum der Leistungen reicht von solchen, die zwingend vorgeschrieben und nicht verhandelbar sind, hoheitliche Aufgaben (Polizei, Justiz), solche der Daseinsvorsorge (Sozialleistungen) bis hin zu solchen, die von Ländern und Kommunen freiwillig erbracht werden. Nach Maßgabe des Haushalts und rechtlicher Rahmen besitzen Länder und Kommunen einen Spielraum, was sie von sich aus anbieten können und wollen.

Die Stadt Frankfurt leistet sich neuerdings ein Radfahrbüro mit eigenem Referenten. (Ein Fußgängerbüro oder Autofahrerbüro gibt es dagegen nicht.) Der Verkehrsdezernent ist Mitglied der Grünen.

Natürlich gehört auch die Kultur zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen. Im Rahmen der Kulturausgaben werden auch Künstler unterstützt. In der Regel allerdings eher punktuell und durch Sachleistungen (zB Atelierraum). Hier ein Beispiel über die Rahmenbedingungen aus jüngster Zeit.

Sind Künstler Arbeitnehmer?

Auf Twitter wurde behauptet, im Gegensatz zu Angestellten (des öffentlichen Dienstes) wären Künstler keine Arbeitnehmer. Das ist nicht ganz richtig.

Es gibt städtische Orchester und städtische Bühnen, in denen Musiker, Sänger, Tänzer und Schauspieler angestellt sind und nach Tarif bezahlt werden. Sie gehören demnach zum öffentliche Dienst und würden daher sicherlich auch vom jüngsten Tarifabschluss profitieren.

Daneben gibt es ebenfalls freiberuflich tätige Musiker und Schauspieler, die nichts von dem Tarifabschluss bekommen, sondern ihr Honorar frei aushandeln müssen. Es kann dabei durchaus vorkommen, dass angestellte und frei arbeitende Schauspieler und Musiker im gleichen Ensemble tätig sind und die gleiche Leistung erbringen, aber zu unterschiedlichen Bedingungen bezahlt werden. Wer dabei auf welcher Seite sitzt, wird oft von Willkür bestimmt. Ähnliche Gegebenheiten finden sich auch im Film.

In der Bildenden Kunst sind die Bedingungen leicht anders. Man mag einwenden, dass es unähnlich der Bühnen dort keine Ensembles gäbe. (In Einzelfällen, man denke an Kuratoren, ist aber die gleiche Parallelstruktur – angestellt/frei – vorhanden. Der ganze Bereich des Kulturmanagements ist von Tätigkeiten durchsetzt, die sowohl von Angestellten in städtischen Institutionen – Museen – als auch von freien Künstler „draußen“ – in Offspaces oder freien Ensembles – erbracht werden können.) Hinzu kommt noch der pädagogische Bereich, in dem nicht erst seit Corona und Fachkräftemangel Künstler in vielfältig ausgestalteten Anstellungsmodi tätig sind. An die Schulen aller Art schließt noch der weite Bereich der Erwachsenenbildung an.

Zudem spricht nichts dagegen, dass nicht auch Einrichtungen der Bildenden Kunst, etwa Kunsthallen oder Kunstvereine, eigene Ensembles von festen Künstler an sich bänden, die ähnlich den Bühnen, nach Vorgaben Kunstwerke schüfen. (In dem Maße, in dem Kunstvereine bestimmte Künstler wiederholt zeigen oder mit bestimmten Galerien zusammenarbeiten, nähern sie sich dem System der Bühnen an. Es wird nur etwas mehr verschleiert, damit die Vorstellung des Publikums von autonom agierenden Einzelkünstlern nicht erschüttert wird.)

Der Staat sagt, was Kunst ist und wer dafür bezahlt wird

Aus diesen skizzenhaften Überlegungen schließe ich:

Der Staat kann sagen, was Kunst und wer Künstler ist und wie sie dafür bezahlt werden. (In Bezugnahme auf einen Tweet bei Thing Frankfurt könnte man auch von einem Deklarativen Geldbegriff sprechen.)

Es wäre daher durchaus möglich (wenn auch unwahrscheinlich), einen solchen „Tarifabschluss“ auch auf freiberuflich tätige Künstler auszudehnen. (Wollte die Stadt Frankfurt allen Bildenden Künstlern einen gleichen „Inflationsausgleich“ – 1x 3000€ – gewähren, kostete sie dies, je nach Abwägung, wer Künstler ist und wer nicht, etwa 3-5 Mio. Euro. Nicht gerade eine gewaltige Ausgabe.)

Nebenbei hatte ich als Künstler zu Beginn der Corona-Krise, 2020, von der Stadt Hamburg und dem Bund eine Einmalzahlung in Höhe von 3000 Euro erhalten. Diese setzte sich aus 2500 Euro Soforthilfe, die auch für den privaten Verbrauch bestimmt war, und einer variablen Leistung nach Abschätzung der „Betriebsausgaben“ über drei Monate zusammen. Angesichts meiner Erfahrung mit staatlichen Hilfen setzte ich die „Betriebsausgaben“ sehr konservativ mit nur 500 Euro an. Diese hätte ich auch theoretisch abrechnen und nachweisen müssen. Es kamen auch seitdem mehrere Emails, die mir das androhten. Die gesamte Auszahlung war auch nicht „steuer- und abgabenfrei“ (wie jetzt im öffentlichen Dienst), sondern, so wurde vermerkt, müsste von mir dem Einkommen steuerlich angerechnet werden.

Warum schweigen Künstler zur politischen Ökonomie?

Nun bin ich keineswegs der Meinung, der Staat müsste für Künstler aufkommen und ihnen ein Einkommen sichern. Noch neide ich dem öffentlichen Dienst den Tarifabschluss, wenngleich seine Auswirkungen keinesfalls für alle positiv sein mögen. Auf Twitter schrieb jemand, nun könnten sich Angestellte des öffentlichen Dienstes mit dem Zusatzgeld auch wieder Kultur leisten. Wenn aber ärmere Kommunen mehr Schulden aufnehmen oder Gebühren erhöhen müssen, um die tariflichen Mehrausgaben zu stemmen, so behindert das wiederum auch Künstler in ihrer Berufsausübung. Sie müssen mehr arbeiten und können weniger Kunst anbieten.

Grundsätzlich beschäftigt mich aber die Frage, warum von Künstlern zur politischen Ökonomie so wenig zu hören ist. Im Falle des jüngsten Tarifabschlusses werden nach Berechnungen wohl 17 Milliarden Euro umverteilt. (Wo das Geld nicht vorhanden ist, muss es durch Aufnahme von Schulden erzeugt werden.) Das in etwa das Doppelte dessen, was Bund und Länder und Kommunen in einem Jahr insgesamt für die Kultur in Deutschland ausgeben. Wie fühlt es sich an, auch angesichts der Inflation, davon ausgenommen zu bleiben? Was kommt von Künstlern dazu? Nichts.

Man mag den Tarifabschluss für überzogen halten, er steht aber trotzdem für die ökonomischen Gegebenheiten in diesem Land. (Nach Wikipedia beziffern sich die Ausgaben für den öffentlichen Dienst für Deutschland im unteren Drittel des EU-Durchschnitts.) Er steht ein gutes Stück weit für die Arbeitsrealität von Millionen von Menschen.

GrafiK: Parallelwelten der Ökonomie. Sphären der Marktwirtschaft, der Staatswirtschaft und der Kulturwirtschaft.

Parallelwelten der Ökonomie

Wenn Künstler dazu nichts zu sagen haben, so frage ich mich, in welcher Arbeitsrealität sie leben? Offensichtlich in einer Parallelwelt, die mit dem Wirtschaften des Rests der Gesellschaft wenig zu tun hat.

Wie ich schon an anderer Stelle ausgelegt hatte, führt die Unterscheidung von künstlerischer Tätigkeit und „normaler“ Arbeit im Laufe des Erwerbslebens zu erheblichen Einkommensunterschieden. Dabei enthält die „normalen“ Arbeit auch den Einkommenszuwachs infolge von Tarifabschlüssen.

Es gehört anscheinend zum künstlerischen Habitus, zu seiner ‚Betriebstemperatur‘, diese enormen Einkommensunterschiede und die ihr zugrundliegenden Ökonomien nicht zur Kenntnis zu nehmen. Bevor ich genauer nachgerechnet hatte, war ich mir wohl bewusst, dass ich als Künstler weniger Geld als Normalverdiener einnahm, aber ich dachte, es sei doch „irgendwie im Rahmen“. Erst kürzlich wurde mir mit Schrecken gewahr, dass ich im Leben wenigstens 600.000 weniger Geld hätte, als ein Durchschnittsverdienst einbrächte. Sollte ich mich sogar mit Akademikern vergleichen, so vergrößerte sich der Abstand noch erheblich weiter.

Die wirtschaftliche Lage eines Künstlers und die eines „normalen“ Arbeitnehmers ist grundverschieden. Aber es gibt kaum einen Künstler, der dies öffentlich bemerkt und kommentiert. Warum?
(Neben Verena Lettmayer findet sich als Ausnahme noch Oliver Breitenstein, der vor Jahren seine Kontoauszüge als riesige Plakate in einer Berliner U-Bahnstation präsentierte.)

Meine Verstörung über den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ist nur das Symptom für die Verstörung, die mich angesichts dieses Erklärungsdefizits ergreift.

  

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