Wer ist ein Künstler?

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Bin ich ein Künstler?

„Wer ist ein Künstler“ möchte ich im Hinblick auf die weniger prominenten Fälle einer lokalen Kunstszene betrachten. Im Hinblick auf die, die sich „on the top“ befinden, ist die Sache einfacher.

Künstler im engeren Sinne sind daher zuerst solche, die Kunstgeschichte schreiben. Ihr Name wird in einschlägigen Monografien, Lexika, Katalogen, Abhandlungen, weiteren Verzeichnissen und dem internationalen Feuilleton genannt. Ihre Werke befinden sich in namhaften Museen und Sammlungen. Sie werden auf international bedeutsamen Ausstellungen gezeigt. In den meisten Fällen erzielen ihre Arbeiten bei Verkäufen und Auktionen die höchsten Preise. Es sind ganz wenige. Vielleicht weltweit 1.000.

Das war nicht schwer. Wer aber sind Künstler, die vielen, die fast niemand kennt? Wie regelt eine lokale Kunstszene einer mittleren Großstadt, wer Künstler ist und wer nicht?

Darüber kann es keine allgemeine und verbindliche Auskunft geben, denn die Antwort wird durch eine Reihe von Unbestimmtheiten beschränkt. Dazu gehören 1) die Unklarheit über den Künstlerstatus (es ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder kann sich so nennen.), 2) die ständige Veränderung des Feldes der Kunst selbst, in dem ständig neue Tätigkeiten und Verfahren auftreten (Streetart oder Medienkunst als zwei Beispiele), woraus 3) eine auffällige Zurückhaltung bei Fragen der Definition zu bemerken ist, die offensichtlich aus der Angst herrührt, sich zu blamieren.

Wer ist ein Künstler in Hamburg?

Folglich möchte ich aus diesen Defiziten heraus nach eigener Erfahrung (als teilnehmender Beobachter) einige Hinweise geben, wie sich der Künstlerstatus konstituieren könnte, sofern keine Referenz auf die Kunstgeschichte vorliegt.

These: Künstler ist, wer von der Kunstszene anerkannt wird.

Folgende Kriterien können eine Rolle spielen:

Ein Kunststudium

Künstler oder Künstlerin kann jemand sein, der ein entsprechendes Studium abgeschlossen hat. Dabei spielt sowohl der Gegenstand des Studiums wie auch die Institution eine Rolle. Es ergibt sich daraus eine gewisse Rangfolge, nach der der Wert der Ausbildung bemessen wird.

In Hamburg dürfte an erster Stelle die Hochschule für Bildende Künste (HfBK/Lerchenfeld) stehen. Innerhalb der Hochschule steht wiederum die Freie Kunst auf dem ersten Platz. Es folgen die Kunsterziehung, die Visuelle Kommunikation und die anderen Studienrichtungen. Innerhalb der Studienrichtungen kann noch die Person des Lehrers wichtig sein. In den 1980er Jahren war F.E. Walter die Nummer 1. Wer in der Freien Kunst jemand sein wollte, hatte bei Walter studiert zu haben.

Es folgt darauf die Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg), früher nach ihrem Standort „Armgartstraße“ benannt. Obwohl an der Hochschule explizit keine Kunst ausgebildet wurde, speisten sich sehr viele Künstler in Hamburg aus Studiengängen der Hochschule. (Der Grund dürfte an den weniger restriktiven Zugangsbeschränkungen, sowie aus der Zuneigung vieler Eltern stammen, Kinder mit kreativen Ambitionen ein Studium mit gewissen Brotperspektive (anstelle der brotlosen Kunst) zu erlauben.)

An dritter Stelle kommen die Hilfs- und Vorbereitungsschulen. Freie Kunstschule Hamburg etwa. Sowie private Grafikschulen. Sie haben eine ähnliche Ausgangslage wie die Armgartstraße.

Sodann gibt es noch das Studium an der Volkshochschule, Ferienkursen oder Workshops, das wahrscheinlich sehr schlecht angesehen ist und nahe den Autodidakten liegt, die hin und wieder auch auftreten.

Die Ausbildungsstätte ist grundsätzlich ein Ort, der sozialen Zusammenhalt herstellt. Kunsthochschulen produzieren meistens ein sehr dichtes Gewebe des Miteinanders, schon aufgrund der geringen Anzahl an Studenten und dem persönlichen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. Später, nach dem Studium, baut man auf diese Erfahrung auf. Man kennt sich halt. (Und in Abwesenheit anderer belastbarer Kriterien kommt dem sozialen Kit eine besondere Bedeutung zu.)

Deshalb haben Absolventen anderer Hochschulen, von außerhalb, einen zunächst geringeren Status, selbst, wenn ihre Hochschule einen guten Ruf besitzen möchten.

Engagement in der Kunstszene

Wer an einer Kunsthochschule studiert hat, muss deswegen noch kein Künstler sein. Viele ihrer Absolventen gehen in angewandte Berufe. Auch Kunstlehrer müssen keine Künstler sein. Es folgt als weiterer Filter die Aktivität, die eine Person in der lokalen Kunstszene ausübt.

Es gibt dabei die direkte und die indirekte Beteiligung.

Ausstellen können. Ausstellen müssen. Bei Frise.

Ausstellen können. Ausstellen müssen. Bei Frise.

Direkt ist die eigene künstlerische Praxis, sowie sie sich in gängigen Formaten der Kunstpraxis kenntlich macht. Also in erster Linie in Ausstellungen, die als Kunstwerke einzuschätzende Formen oder Ereignisse präsentieren. Dafür kommen lokale Galerien und Ausstellungsräume in Frage. Gerade die vielfältige Landschaft Hamburger Projekträume ist als erste Adresse anzusehen, wer für den Status Künstler in Frage kommt. Das Feld der Projekträume kennt wiederum, ähnlich der Ausbildungsorte, ein eigenes System der Bewertungen und Hierarchien, das ein stets wechselnde Konjunktur aufweist. Auch hier gilt, wie sonst auch, Einzelausstellung kommt vor Gruppenausstellung. Wer aber mehrmals in Zusammenhang mit Frise oder Westwerk aufgetreten ist, wird sicherlich gute Karten haben, als Künstler erkannt zu werden.

Schwer verdächtig macht sich, wer ausstellt, aber an Orten, die außerhalb des genannten Kreises liegen, etwa in Sparkassen, Bücherhallen oder Arztpraxen. Auch wenn die Grenzen fließend sein mögen (wohin gehören Clubräume?), ist die Gefahr groß, Hobbykünstler genannt zu werden.)

In allen Fällen spielt auch die zeitliche Frequenz eine Rolle, wenngleich sich nur schwer Kriterien dazu angeben lassen. Wahrscheinlich gilt, wer weniger als 1x im Jahr an einem der besagten Orte auftritt, läuft Gefahr, als weniger ernsthaft eingeschätzt zu werden.

Ich habe ein Atelier und du?

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Künstleratelier, MATO Offenbach

Kann man die Welt der Ausstellungsräume in Sachen Produktion als den Showroom bezeichnen, gibt es unweigerlich auch ein Hinterzimmer, das Werkstatt oder Atelier genannt wird.

Wer mit Ambition als Künstler auftritt, muss unweigerlich ein Atelier besitzen. Wer aus welchen Gründen auch immer zuhause arbeitet, gerät leicht in Misskredit (besonders Frauen).

Das Raum in einer Großstadt generell teuer ist, bedeutet die Fähigkeit, sich ihn leisten oder fördern lassen zu können, unbedingt ein Anzeichen von Ernsthaftigkeit. (Natürlich gilt hier auch, je größer und zentraler, desto besser.) (==> Diskussion Habe ich ein Recht auf ein Atelier?)

Angesichts der großen Zahl öffentlich geförderter Atelierhäuser in Hamburg ist der Ausweis, ein solches Atelier über einen längeren Zeitraum zu besitzen, wahrscheinlich die erste Eintrittskarte (gerade direkt nach dem Studium) in die Künstlerwelt. Da alle Atelierhäuser Zugangsbeschränkungen haben und entsprechend selektiv mit ihren Räumen umgehen, wird bei Vergabe eines Atelierplatzes wahrscheinlich schon sehr genau abgefragt, welche Qualitäten der oder die Bewerberin aufweist. Da manche Atelierhäuser auch Künstlerhäuser sind, tritt zudem der Effekt der Peer-review auf. Künstler entscheiden über andere Künstler. Daher kann in etwa gelten, wer in einem dieser öffentlichen Künstlerhäuser ist, ist auch Künstler.

Und der Preis geht an…

Zum Atelier tritt die externe Gratifikation hinzu. Die öffentliche und teils private Kulturförderung unterhält ein reiches Ensemble an Wertzuweisungen. Das sind vor allem Kunstpreise und Stipendien (weit vorne das Hamburg Stipendium), sowie weitere Zuwendungen in Form von Projekt- und Katalogzuschüssen. Früher gehörte auch Woche der Bildenden Kunst dazu. Jedes dieser „Mit freundlicher Unterstützung von…“ bedeutet ein weiteres Brief-und-Siegel auf die Ernst- und Werthaftigkeit des Künstlers.

Schließlich gibt es noch die indirekte Beteiligung in Form des allgemeinen Dabeiseins und Bemerktwerdens

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Dabei sein müssen.

Wer als Künstler anerkannt werden möchte, tut gut daran, in regelmäßigen Abständen an Veranstaltungen und Events der Kunstszene teilzunehmen. Dazu gehören natürlich alle Arten von Eröffnungen und Kunstpräsentationen, Diskussionsrunden, Versammlungen, Rundgängen, Ehrungen sowie die Teilnahme an den anschließenden After-Shows in Bars und Restaurants. Es ist grundsätzlich gut und wichtig, gesehen und bemerkt zu werden. Die gegenseitige Anteilnahme kennt dabei kaum Grenzen. Wenngleich niemand durch dieses Sozialverhalten, dass es auch überall sonst gibt, direkt zum Künstler wird, ist es ein wichtiges unterstützendes Element. Da, wie oben angemerkt, die Kriterien für die Teilnahme an allen Prozessen und ihre wertende Zuschreibung sehr fließend verlaufen, kann der Umstand, sich im Austausch mit anderen zu befinden, wichtige Informationen für die eigene Stellung, Bewertung und das Fortkommen beinhalten. Wer sich dem entzieht, kann nicht nur Nachteile erleiden, sondern auch in Verdacht geraten, Kollegen und Kolleginnen gering zu schätzen. Eine gewisse Investition in das soziale Miteinander kann unabdingbar sein. Und auch hier gilt, ähnlich dem Atelier, die Zeit, die jemand für solche Aktivitäten aufbringt, muss letztlich bezahlt werden. Sie steht reziprok zur Ernsthaftigkeit.

In der heutigen Zeit gehört zum sozialen Austausch ebenso die Präsenz in sozialen Netzwerken. In Hamburg zählt aus einer Tradition unbedingt ein Beitrag in der Echo-Mailingliste dazu. Wer Teil der Hamburger Kunstszene sein möchte, hat hier regelmäßig zu posten oder wenigstens über den Stand der Diskussion Bescheid zu wissen.

Reden können

Nebenbei sollte noch bemerkt werden, dass selbstredend die bloße Teilnahme nicht genügt. Es braucht neben dem Auftreten auch entsprechende sprachliche Fähigkeiten, die Wissen um die Zusammenhänge der jeweiligen Situation erkennbar werden lassen. Wer als Künstler betrachtet werden will, muss nahezu zwingend Vokabular, Jargon und Dialekt des Kunstsystems sprechen, also ein Artspeak beherrschen. Nur in ihrem Gebrauch trennt sich Profi von Amateur und Eingeweihte von Außenstehender. Auch hier können die Grenzen gleichzeitig äußerst subtil und diffus verlaufen.

Können sie davon leben?

Zuletzt noch einige Worte zu den weniger wichtigen Kriterien. Dazu gehört in Hamburg, – aber ich meine eigentlich in ganz Deutschland -, die Lehrtätigkeit an einer bedeutenden Institution, was sicherlich damit zusammenhängt, dass die Zahl der Stellen in Relation zur Anzahl der Künstler sehr gering ist. Allgemeine Lehrtätigkeit als Nebenjob kommt dagegen sehr häufig vor, weist aber keinerlei Prestige auf und wird eher verschwiegen. (Gleiches gilt für die Mitgliedschaft in Berufsverbänden. Insbesondere BBK. Das kann eher schaden.)

Kaum überraschend in der Szene spielt die Fähigkeit, mit seiner Kunst Geld zu verdienen bei der Frage, wer Künstler ist und wer nicht, praktisch gar keine Rolle, Denn eigentlich verdient niemand Geld. Eher kommt schnell der Vorwurf auf, „kommerziell“ zu sein oder „den Markt“ zu bedienen. Beides kann als Zeichen mangelnder Ernsthaftigkeit verstanden werden. (Zwiespältig die Einschätzung staatlicher Zuwendung. Wer dort zum Zuge kommt, kann einerseits als clever gelten, anderseits aber auch als anbiedernd. Hier ist Vorsicht geboten.)

Auch eine geringe Rolle spielt zunächst, was eine Person genau herstellt. Ob Bilder oder Skulpturen, in welchem Stil oder Format. Wenigstens, solange es nicht ganz aus dem Rahmen fällt und direkt als Hobbykunst zu erkennen ist. Da eine große Zurückhaltung in der Formulierung belastbarer Kriterien und Gründe herrscht, wird, so mein Eindruck, die Bewertung des Inhalts einer künstlerischen Produktion zeitlich möglichst aufgeschoben und, so machbar, an externe Gremien vergeben, denen man kaum in die Karten schauen kann. Man sagt daher nicht direkt, dass eine Person schlechte Kunst macht. Man hält sie eher von Gratifikationen fern. Kein Atelier. Kein Stipendium. Keine Einladungen zu Gruppenausstellungen.

Punkte sammeln

Die hier bemerkten Regeln und Markierungen auf dem Weg zur Künstleranerkennung sind kein starres System, sondern ein locker geknüpftes Netzwerk von Positionsbestimmungen, die wahrscheinlich nach einer Art internem Punktesammeln (s.a. ›scorekeeping‹, David Lewis 1979) ablaufen. Bei jedem Treffen, bei dem es darauf ankommt, den Status des Gegenübers näher einzuschätzen, werden einen Reihe von Merkmalen abgefragt und grob bepunktet: wo kommt er/sie her, hat mit wem was gemacht, bezieht sich auf jenes und spricht von diesem in jener Weise. Das kann zu einer vorsichtigen Einschätzung führen, die später verfestigt oder relativiert, manchmal aber direkt angenommen oder abgelehnt werden kann. – „So, wie die spricht, Nein, geht gar nicht… und was der jetzt gesagt hat, also, ja, na denn…“ Wie viele Punkte nach welchem Muster vergeben werden, kann höchst individuell verlaufen und von Position und Selbsteinschätzung der eigenen Person abhängen. Die oben genannten Kriterien können nur ungefähre Anhaltspunkte geben. Wer an der Armgartstraße studiert hat, wird vielleicht dazu neigen, Kommilitonen höher zu schätzen, als die sonst besser bewerteten Absolventen der HfBK. (Insgesamt eine Art Tribalismus.)

Verkomplizierend kann hinzukommend, dass jeder um dieses Spiel weiß und daher in seinem eigenen Verhalten Interpretation des Anderen vorwegnehmen kann.

Grundsätzlich kann gelten, dass als Künstler der- oder diejenige anerkannt wird, die einen bestimmten, jeweils variablen Punktestand erreicht. Wo der genau liegt, kann im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen. Dabei ist es jeweils Teil des Spiels, im kommunikativen Handeln Kriterien der Punktevergabe in Erfahrung oder Verhandlung zu bringen.

Als Ergebnis der Untersuchung kann das enttäuschend klingen, da zu vage. Trotzdem kommt mir vor, als forderte der von mir skizzierte Zusammenhang an Bewährungsproben, die in etwa dem formalen Kunstbegriff bei Stephen Davies (1991) entsprechen, keine geringe Leistung ab, vor allem zeitlicher Art, so dass bei aller Unschärfe der Definition, deutlich wird, warum nicht jede und jeder Künstler sein kann.

  

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