Fast entgegen der eigenen Wahrnehmung kann ich mich nicht des Gefühls erwehren, 2023 wäre mir recht gut geglückt. Den Anteil daran hatte auf jeden Fall Paris.
Ja, Paris. Die beiden Reisen im Frühjahr und Herbst haben mich auf andere Gedanken gebracht, natürlich durch Architektur und Passagen ein fortlaufendes Interesse angeregt und sowieso gezeigt, dass ich dem bedrückenden Frankfurt (dazu unten mehr) wenigstens zeitweise entkommen konnte.
Schrecken ’23
Ansonsten ließe sich von den äußeren Umständen dem Jahr 2023 wenig Gutes abgewinnen. In Kürze: Ukraine, Corona, Inflation.
Der schreckliche Krieg in der Ukraine ging im März in sein zweites Jahr, das noch zu Beginn die Hoffnung vorgab, als könnte eine ukrainische Offensive das Blatt wenden. Stattdessen ist die Auseinandersetzung zu einem Abnutzungskrieg geworden, der ungeheure Mengen an Material verschlingt, das die Ukraine aus dem Westen beziehen muss, der sich selbst zögerlich gibt. Ich meine, wir sind Teil dieses Krieges geworden, können uns aber immer noch nicht dieser Realität stellen. Mit dem einsetzenden Wahlkampf in den USA werden wir aber mehr und mehr vor die Wahl gestellt, welchen Beitrag wir zu einem Sieg der Ukraine und einer Niederlage Russlands leisten wollen.
Unversehens könnten wir Abnutzungskrieg auch als Metapher für die weiteren Schrecknisse des Jahres verwenden, die uns latent behelligen und beschweren. Corona ist nicht vorbei, nur weniger sichtbar, seit nicht mehr getestet wird. Dennoch sind seit Beginn der Pandemie in Deutschland 180.000 Menschen an Corona gestorben, 15.000 mehr als letztes Jahr. Sicherlich ein Rückgang im Vergleich zu 2022, aber immer noch zu viel. Die hohe Anzahl an Infektionen macht sich besonders am Krankenstand sichtbar, der wiederum direkt und indirekt zu Ausfällen führt. In der Schule und im Nahverkehr. Später wird uns auch LongCovid beschäftigen.
Auch die Inflation ist ein Abnutzungskrieg. Gegenüber meinem Einkommen und Ersparnissen. Zwar hatten im letzten Jahr die Notenbanken endlich die Zinsen erhöht, von einem Rückgang der Preissteigerung kann ich aber wenig bemerken, zudem die Bundesregierung aufgrund der Haushaltskrise (nach Urteil des BvG) einem weiteren Anstieg der Energiepreise nichts entgegensetzen wird. Wie sie auch in Sachen Ukraine und Corona wenig Initiative zeigt.
Nebenbei war 2023 auch noch das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und wohl genau wegen der Wärme eines der feuchtesten, was sich nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch in meinem Sommer in Schweden gezeigt hat.
Auch Schweden
Ja, auch dieses Jahr verbrachte ich wieder eine Zeit im Sommer in Schweden, diesmal von Corona unbehelligt, dafür aber vom Regen verfolgt wie lange nicht mehr und auch von weiterem Pech getroffen. Das erste Mal, dass ich meine Kamera nicht mitnehmen konnte. Fotos von Wald und Seen fielen diesmal leider aus. Mir ist selbst ein wenig verwundert zu Mute, dass mich diese Erfahrung nicht stärker belastet hatte. Trotzdem sollte ich schauen, wie ich im nächsten Jahr mich besser vorbereiten kann.
Auch ohne Schweden entnehme ich aus meiner Liste zu meinem Erstaunen, dass ich dieses Jahr gut 70 Blatt Film belichtet hatte. Natürlich konnte ich davon nicht alle verwenden, dennoch kommt mir die Ausbeute nicht gering vor, wenn ich immer wieder das Gefühl habe, es gäbe in Frankfurt eigentlich keine Motive.
Mit meiner Radiosendung kam ich auf 12 Sendungen in einem Jahr, worunter sich einige befinden, die ich als außerordentlich gelungen empfinde, so die Junisendung zu Social Media, die Septembersendung zu Gillamoos und auch die letzte kürzlich zum Bartleby-Syndrom.
Außer der Kunst
Sie reflektieren insbesondere meine weitere Skepsis, ja meinen Unwillen, der Kunst noch irgendwelche positiven Erzählungen abgewinnen zu können. Neu hinzu kamen die Bekanntschaft mit Lee Lozanos AVOID, sowie Allan Kaprows Un-Artist. Ja, ich bin nahezu allergisch gegen Kunst geworden. (Im Vergleich dazu: die Documenta kam dieses Jahr nach dem Desaster von 2022 in weitere Turbulenzen, weil man nicht wusste, wie man sich gegenüber den Zumutungen der Identitätspolitiken positionieren sollte, nicht aber, weil man nicht wusste, worum es in der Kunst noch generell gehen könnte.)
Ich war jedenfalls mit Ausnahme des Ausflugs im Januar an keinerlei Ereignis in Sachen Kunst mehr präsent. Auch in Paris blieb ich ihr weitgehend fern. Es gab dort mehr als genug Alternativen. Einziges Problem ist nur, dass diese meine Haltung theoretisch so gut wie keine Unterstützung findet. Nicht nur zur Documenta herrscht diesbezüglich Schweigen, sonst auch. Ich versuchte mich am Problem des Künstleridealismus.
Mein Blog hier, das dieses Jahr im August sein 10-jähriges Bestehen beging, verzeichnet 130 Artikel (es kommen sicherlich noch einige dazu), was etwas weniger ist als in den letzten Jahren. Wahrscheinlich hat der heiße Sommer einen Teil dazu beigetragen, dass mir nicht nach schreiben war.
Meine Mutter, deren Demenz schon 8 Jahre währt, sah ich dieses Jahr nur 4 Mal. Das war etwas wenig. Der Sommer fiel dieses Jahr aus, weil meine Schwester ihren Urlaub aufgrund der Hitze in den Herbst verlegt hatte. Immerhin konnte ich aufgrund unseres neuen Lagers in Neukölln an Bücher, Fotografien und Aufzeichnungen aus meiner Kindheit und Jugend kommen, die mir auch hier im Blog halfen, meinen Werdegang und heutigen Stand-Punkt besser zu verstehen.
Zuletzt noch, um der Aufzählung Genüge zu tun, einige Jahrestage:
— vor 25 Jahren (1998) trat ich meine Dozentenstelle in Leipzig an. Ich war auch in London und Stockholm.
— vor 20 Jahren (2003) begann ich den zweiten Teil meines Kunstraums multi.trudi.
— vor 10 Jahren (im Oktober 2013) siedelte ich nach Hamburg über, wo ich fast 8 Jahre blieb.
Wohin in 2024?
Aus dem ergiebigen Jahr 2023 nehme ich folgendes nach 2024 mit:
— ich möchte endlich nach Grönland reisen. Corona sollte im Sommer kein Hindernis mehr sein.
— ich möchte endlich Frankfurt wieder verlassen. Mit den steigenden Zinsen sind die Preise für Immobilien gesunken. Das könnte mir entgegenkommen. Wenigstens will ich den Weg dahin unternommen haben.
Die Zeit des Interims ist vorbei.