Viele Künstler, die von ihrer Kunst allein nicht leben können, beziehen ein Einkommen aus anderen Quellen. Der Artikel betrachtet die vorwiegend negativen Konsequenzen, die sich aus dieser Berufswahl ergeben und kommt zu dem Ergebnis, dass Künstler ihre Kunst nicht aus externen Quellen finanzieren sollten.
Inhalt
Von der eigenen Kunst dauerhaft nicht leben zu können, ist für die meisten Künstler eine unerfreuliche Realität. Sie begegnen ihr in der Regel, – anstatt aufzugeben und aus dem Beruf auszuscheiden -, in dem sie ihre Kunst aus externen Quellen finanzieren. Diese Quellen können von verschiedener Natur sein, aber zum größten Teil handelt es sich um eine kunstfremde Arbeit, die ein regelmäßiges Einkommen verspricht. Gemeinhin auch Brotberuf genannt.
Die Verbreitung dieses Brotberufes ist so allgemein, dass sie in der Kunstwelt kaum in Frage gestellt wird. Dabei ist sie eine von drei Besonderheiten des Kunstsystems, das es von andern Bereichen des gesellschaftlichen Handelns unterscheidet. Ich möchte hier in einigen Punkten, gegen den Strich untersuchen, welche Nachteile mit dieser Querfinanzierung verbunden sind. Was kostet sie die Künstler?
Kunst ist gemeinhin eine freiberufliche, unternehmerische Tätigkeit. Daher ist jede Art von Finanzierung auch eine Art von Investition.
Es wird offensichtlich davon ausgegangen, dass künstlerische Arbeit unrentabel ist. Weit davon entfernt jedoch, diese Tatsache zum Problem zu machen, wird sie als selbstverständlich hingenommen und ‚andere bezahlte Arbeit’ angenommen, um die finanziellen Ressourcen zur Unterstützung der eigentlichen Arbeit aufzubringen, die wiederum als primäre Quelle von Identität, Selbstwertgefühl und Status fungiert. (McRobbie, 2004a)
Dabei sind grundsätzlich zwei verschiedene Modi denkbar und vorhanden. Eine Künstlerin als Berufsanfängerin kann zuerst wenig oder gar keine Kunst verkaufen. Sie muss aber Geld ausgeben, um überhaupt in den Markt eintreten zu können. Also Materialien kaufen, ein Atelier anmieten, sich weiterbilden. Dazu kann sie auf Erspartes zurückgreifen, sich Geld leihen oder einen Nebenjob ausüben. Mit der Zeit wird sie immer erfolgreicher am Markt, so dass sie schließlich nicht mehr von diesen externen Geldquellen leben muss, sondern nur noch und dauerhaft von ihrer Kunst. Sie hat investiert und diese Investition hat sich ausgezahlt. Schafft die Künstlerin es nicht, nach einer Zeit dauerhaft von ihrer Kunst zu leben, scheidet sie aus der Kunst aus und sucht sich eine andere Arbeit. Dieser Weg entspricht weitgehend dem anderer Berufe, die die Selbständigkeit anstreben.
Der andere Modus, der weitaus häufiger auftreten dürfte, ist der: der Künstler kann nach einer Startphase von mehreren Jahren trotzdem nicht dauerhaft von seiner Kunst leben. Er gibt aber die Kunst nicht auf, sondern lebt weiterhin, meist schlecht als recht, von seinen externen Einkommensquellen. Gewöhnlich den Rest seines Lebens, bis zur Rente. Er geht einer Arbeit nach und finanziert aus ihrem Erlös seinen Lebensunterhalt und seine Kunst. „Seine Kunst“ meint nicht nur die Produktion von Kunstwerken, sondern die Aufrechterhaltung seines Status als Künstler. (Im Sinne Bourdieus wird hier monetäres in symbolisches Kapital verwandelt. Lundkvist [2018,4] spricht dabei bösartig von ›Geldwäsche‹) Wie dieser Status produziert wird, habe ich unter „Wer ist ein Künstler?“ beschrieben.
A practising artist whose occupation is making art has an art job. Multiple jobholding in the arts refers to the phenomenon of an artist with an art job, having one or more, so-called, second jobs in which he or she is not engaged in making art. Second jobs can be art-related jobs or non-art-related jobs. Artists with one or more art-related jobs have a plural art practice. A hybrid art practice refers to a practice where, in their second job, artists provide artistic inputs to non-artistic production. (Abbing 2022, 115)
Die externe Finanzierung der Kunst kann im Laufe der Zeit verschiedene Formen annehmen, die sich teils abwechseln, teils auch zeitlich erhalten, als Preise, Stipendien, Arbeitsaufenthalte, Reisen oder Lehraufträge, teils Tantiemen der Verwertungsgesellschaften. Später, in fortgeschrittenem Alter können auch Erbschaften hinzutreten. Es ist aber auch die Unterstützung durch Eltern oder Partner möglich, ebenso wie der Verbrauch eigenen Vermögens (wenn nicht aus vorweggenommener Erbschaft, dann etwa aus Anteilen an einem Unternehmen oder Immobilien).
Allen diesen Zuwendungen (in der englischen Literatur auch „subsedy, subsedies“ genannt. Siehe Abbing 2002, 143-146) ist gemein, dass sie, ohne Aussicht auf Besserung, nur die Kunst finanzieren, anstatt den Künstler in Stand zu versetzen, von seiner Kunst leben zu können. (Und er bleibt arm dabei.) Sie verletzten ein fundamentales Prinzip des Wirtschaftens, nach dem Arbeit den Arbeiter bezahlt und nicht der Arbeiter die Arbeit. Sinn und Zweck der Fremdfinanzierung ist, das Ausscheiden aus dem System (= mehr als nur Markt) zu verhindern oder möglichst weit herauszuschieben.
Künstler verhalten sich grundlegend anders als andere Arbeiter
Dass sich Künstler avers zum üblichen Marktgeschehen verhalten, hat einige Konsequenzen, manche negativer Art.
Bevor ich näher auf die problematischen Aspekte einer Fremdfinanzierung der eigenen Kunst eingehe, möchte ich vorab betrachten, inwieweit sich das Verhalten der Künstler qualitativ und quantitativ von anderen Menschen unterscheiden, die ebenfalls mehreren Beschäftigungen nachgehen.
Die künstlerische Fremdfinanzierung ist auf wenigstens zwei Arten qualitativ anders. Sie stellt sehr entschieden eine einzige Tätigkeit in den Mittelpunkt allen Strebens, auf die sie ihre Anstrengungen richtet, die Kunst. Menschen außerhalb der Kunst, die von ihrem Beruf nicht leben können, scheiden entweder nach einer Zeit aus dem Beruf aus und suchen sich, so schmerzhaft das sein mag, einen anderen Job oder sie neigen dazu, sofern sie mehreren Beschäftigungen nachgehen, diejenigen aufzugeben, die beständig finanziell enttäuschen, um sich denjenigen, die bessere finanzielle Perspektiven bieten, zuzuwenden. Künstlerinnen dagegen beharren weiterhin auf ihrer Kunst, auch wenn sie finanziell enttäuschen sollte. (Wenn Künstler in ihrem Brotberuf mehr Geld verdienen, stecken sie dies nicht in Konsum, sondern versuchen, mehr Zeit für ihre Kunst zu „kaufen“.) In einem Satz: ’normale‘ Menschen arbeiten, um zu leben. Künstler leben und arbeiten für die Kunst. (s. »work preference theory« und »art-work preference«, Abbing 2022, 116)
Dass die externe Finanzierung bei Künstlerinnen allgegenwärtig, aber keineswegs normal ist, zeigt sich daran, dass sie in offiziellen Lebensläufen in der Regel nicht auftaucht und auch sonst von ihnen sehr zurückhaltend behandelt wird. Ein Bekannter regte sich sehr auf, als er in einem Katalogbeitrag über ihn die Beschreibung fand: „Arbeitet Vollzeit als Krankenpfleger…“. Zwar mag es auch für andere Menschen unangenehm sein, zuzugeben, dass sie nicht über die Runden kommen und deshalb zusätzlicher Arbeit nachgehen, nur in der Kunst werden besondere Anstrengungen unternommen, die Vorstellung zu wahren, alle wären rund um die Uhr zu 100% mit Kunst beschäftigt. Das schließt mit ein, dass Künstler und besonders auch Künstlerinnen mit anderen ‚Ablenkungen‘ wie Kinder und Familie ungern in Verbindung gebracht werden wollen. (In Konsequenz wird die Fremdfinanzierung entweder nicht wahrgenommen oder als irgendwie unvermeidlich abgetan. In beiden Fällen eine Realitätsverweigerung.)
Sofern Nebenjobs erwähnt werden, handelt es sich am ehesten um die Lehre und auch die Vermittlung. Sie geben dem Anspruch nach, wenigstens indirekt der Kunst zu dienen. Die verbreitete Zurückhaltung, Nebenjobs zu erwähnen, dürfte auch mit allgegenwärtigen Kulturförderung zu tun haben. Wer zu offensiv seine Nebenjobs bewirbt, läuft Gefahr, in den Augen der Förderer nicht bedürftig genug zu erscheinen. Andererseits werden in vielen Förderprogrammen die Lebenshaltungskosten nicht erstattet. Ein Drama bei den Corona-Hilfen.
Quantitativ unterscheidet sich die Fremdfinanzierung durch ihre flächendeckende Verbreitung. Die Zahlen zu Künstlern, die von ihrer Kunst leben können, mögen schwanken, der Umkehrschluss bedeutet, dass nahezu alle anderen nicht von ihrer Kunst leben können und daher auf externe Finanzquellen angewiesen sind. Es dürfte in Staaten, die ein westliches Wohlstandsniveau erreicht haben, keine andere Berufsgruppe mit vergleichbarer Ausbildung geben, die so schlecht in der Lage ist, von ihrer Arbeit zu leben wie die Künste. Ohne diesen Umstand ergäbe auch die ausgedehnte staatlich-öffentliche Kulturfinanzierung keinen Sinn. (Anderen wird ein Besuch im Jobcenter nahegelegt.)
I was not alone in this. We, all the contemporary artists and writers of the time, were in this together. We were all part of the same money laundry operation. (Lundkvist 2018, 4)
Warum die Fremdfinanzierung problematisch ist
Ich komme nun zu den problematischen Aspekten der Fremdfinanzierung. Davon gibt es 5:
Die Fremdfinanzierung ist höchst ungewöhnlich
1) Die dauerhafte Fremdfinanzierung der eigenen Kunst ist ein wirtschaftlich ungewöhnliches Phänomen. Es gibt zwar in anderen Berufsgruppen, insbesondere wenn es sich um freiberuflich-unternehmerische, auch kreative Tätigkeiten geht, Phasen des Up and Down, die es nötig machen können, aus externen Quellen zuzuschießen, die Künste sind der einzige Berufszweig in dem dieses Verhalten endemisch ist. Hinzu kommt, dass Künstler auch bei dauerhaft niedrigen Einkünften nicht aus ihrer Hauptbeschäftigung fliehen, also aufgeben, sondern alles unternehmen, andere Quellen zu organisieren, um die Hauptbeschäftigung dauerhaft zu subventionieren. (Im Hinblick auf den Unterschied zu anderen Berufsgruppen sollte man bemerken, dass es nicht um ein Entweder-Oder geht, sondern um einen fließenden Übergang. Je kreativer die Beschäftigung, desto größer die Neigung, sie fremd zu finanzieren. Man sieht ähnliche Modelle in der Wissenschaft und im Sport.)
Die Fremdfinanzierung verschafft Künstlern keine Ruhe
2) Ist das Ziel erreicht, die eigene, defizitäre Kunst aus externen Quellen dauerhaft zu sichern, sollte man meinen, dass nun Ruhe eintritt, die der eigenen Arbeit zugute kommt und sie befördert. Dass kann sein, muss aber nicht eintreten. Zunächst ist die Balance zwischen zwei sehr unterschiedlichen Anforderungen, die sich aus dem Brotberuf und der freien Kunst ergeben, eine anstrengende Aufgabe, die jederzeit in ein Ungleichgewicht zwischen beiden fallen kann. Man denke an Künstler, die nachts Taxi fahren. Angela McRobbie fand unter den Teilnehmern ihrer Studie eine Künstlerin, die in ihrem Nebenjob 42 Stunden die Woche arbeitete. Kunst fand bei ihr dann noch an den Abenden und am Wochenende statt. (McRobbie 2004a, 14) Finanziell bleiben die Künstler auch mit Nebenjob hinter den Einkünften der Normalarbeiter zurück, da sie um der Flexibilität willen (und natürlich aufgrund fehlender Qualifikation) zumeist in Teilzeit und in Tätigkeiten des Niedriglohnsektors beschäftigt sind. (Wenn Künstler, wie oben schon bemerkt, sehr gerne in kulturnahen Bereichen arbeiten, dann wirkt sich das aufgrund der ausgeprägten Kostenloskultur in diesem Sektor wiederum negativ auf ihr Einkommen aus. Eine Künstlerin, die als Sekretärin in einem kleinen Kunstverein arbeitet, verdient dort weniger als eine Sekretärin in einem Anwaltsbüro.)
Letztlich handelt es sich um einen Kompromiss, der ein Versagen kleineren oder größeren Ausmaßes verdeckt. So schrieb der Künstler Detlev Fischer auf Thing Hamburg:
„Da die abhängige Lohnarbeit einen großen Teil meiner Zeit einnimmt (oder herausnimmt), darf sie nicht ausgespart werden, auch wenn sie, von der Kunst-Arbeit her betrachtet, sich als eklatanter Vorwurf an irgendein Selbst aufdrängt, ein sogenanntes ‚Auskommen‘ durch Kunst (oder doch zumindest die deprimierende Option des einkommenslosen Künstlers) verfehlt oder hintertrieben zu haben.“
Wie immer sich der Kompromiss ausgestaltet haben mag, er bleibt hinter der eigentlich Aufgabe und Anforderung zurück, von seiner Kunst leben zu können, und das um so mehr, als jede Stunde, die mit fremdbestimmter Arbeit verbracht wird, vertane Zeit in der Kunst ist, was sich schmerzlich daran zeigt, dass diejenigen, die mehr Zeit in der Kunst verbringen können, auch mehr Chancen dort nutzen können, die sie weiter voran bringen. Dieses ist ein Grund, warum Künstler bei ihrer Brotarbeit kunstnahe Beschäftigungen vorziehen, auch wenn sie schlechter bezahlt sein mögen. Sie halten so wenigstens Kontakt mit dem Betrieb. (Es gibt sicherlich auch einige andere Künstlerinnen, die kunstfremde Tätigkeiten vorziehen, weil sie einmal von der Kunst ablenken, ein anderes Mal neue, vielleicht anreichernde Blickwinkel eröffnen, schließlich oft besser bezahlt werden.)
Detelv Fischer: „Wer immer um 6:30 aufstehen muss, geht dann auch nicht mehr aus, um in Künstlerkneipengesprächen an der kollektiven (oder club-internen?) Bildung des Bewusstseins — und natürlich gleichzeitig an der Einbindung in die relevanten informellen Networks mit ihrem Nachrichtendienst — teilhaben zu können.“
Schließlich bedeutet der Kompromiss nicht, allen Vergleichen enthoben zu sein. Gerade im Hinblick auf die Kollegen gilt ein All animals are equal, but…, in dem Sinne, dass sie zwar gleichgestellt sein mögen, dennoch jederzeit ihre eigene Erwerbsarbeit optimieren und so sich in eine bessere Position im Konkurrenzkampf bringen können. Wenn jede möglichst wenig Lohnarbeit verrichten will, sind diejenigen im Kunstsystem automatisch im Vorteil, die weniger arbeiten müssen. Die Folge ist Unruhe. Wer ist was wert?
Feldstudie 5: Eine Ateliergemeinschaft hat ein freies Atelier zu vergeben. Es bewirbt sich eine Künstlerin, die angibt, alleinerziehende Mutter zu sein. Die Ateliergemeinschaft diskutiert intern, ob die Frau überhaupt genug Zeit hat, ihr Atelier zu nutzen. Sie entscheiden sich schließlich für einen Mann, der nebenbei unterrichtet.
Die Fremdfinanzierung garantiert keine bessere Kunst
3) Die Befürworter eine Fremdfinanzierung führen zumeist ins Felde, dass die Entkoppelung von künstlerischer Arbeit und Erwerbsarbeit die Künstler von Zwängen, Launen und kurzfristigen Trends des Kunstsystems fernhält und ihnen so erlaubt, in größerer Unabhängigkeit ein Werk langfristig anzulegen. Das käme damit der Qualität ihrer Kunst zugute. (Dahinter steckt die verbreitete, aber fragwürdige Ansicht, der Kunstmarkt korrumpiere die Kunst und nur solche frei, autonom, von irgendwelche Zwängen ökonomischer Natur könne gute, unverfälschte und authentische Kunst sein.)
Ich meine, dass auch das Gegenteil der Fall sein könnte. Wer ohne Bezug auf eine Nachfrage oder überhaupt Resonanz arbeitet, läuft Gefahr, in einer selbstbezüglichen Scheinwelt zu leben, die die Außenwelt lediglich als eine Vorstellung (Pfaller [2002] sprach von ›Illusion‹) der Anderen wahrnimmt. Denn es stellt sich die Frage, ob jemand diese angeblich bessere Kunst wahrnimmt. Dazu zwei Beobachtungen:
1) Aus meiner Erfahrung mit selbstverwalteten Kunsträumen (Offspaces) in Hamburg und Frankfurt konnte ich oft genug wahrnehmen, dass Veranstaltungen außerhalb der eigenen Peergroup kaum besucht wurden. Ich habe etliche Ausstellungen im Künstlerhaus Frise, einem der größeren Projekte in Hamburg, erlebt, wo sich nur eine Handvoll Besucher um die Bar sammelten. An wenigen Abenden war das Haus voll, wenn es sich um einen ›Star‹ der Szene handelte. (s.a. Rosen 1981)
2) Die Aufmerksamkeitsverteilung in sozialen Medien weist eine hohe Bandbreite an Äußerungen auf, die wiederum um von einer sehr großen Bandbreite an Empfängern rezipiert wird. Im Effekt tritt eine enorme Ungleichverteilung der Aufmerksamkeit auf. Ganz wenige erzielen hohe Werte an Clicks und Likes, während die Masse kaum Aufmerksamkeit erlangt. Es ist dabei nicht schwer, auf sehr ähnliche Inhalte (Landschaftsfotos zB) zu stoßen, die gänzlich unterschiedlich bewertet werden. Ein Sonnenuntergang kann 3, 30 oder 30.000 Likes bekommen. Da Kunst ebenfalls in diesen sozialen Medien vorkommt und ihren Bedingungen unterliegt, halte ich es für plausibel, dass in der Breite eine irgendwie behauptete bessere Kunst auch außerhalb dieser Medien kaum mehr Aufmerksamkeit erhält als eine andere Kunst und dass infolge dessen der erwartete Effekt der Fremdfinanzierung ins Leere geht.
Die anfängliche Idee der langfristigen Perspektive entpuppt sich also leicht als ein Irrweg in die Isolation. (Das muss keineswegs solitär verlaufen, sondern kann auch in Gruppen und Projekten stattfinden, die sich bis zum Ende gegenseitig bestätigen.) Es handelt sich um Produzenten ohne Markt. In ihren Ateliers stapeln sich Bilder, die niemand will. (Nach Meinung eines Kollegen produziert ein Künstler etwa 700 Bilder in seinem Leben. Davon werden nur 70 verkauft. Der Rest verbleibt im Lager.) Scheitern wird auf morgen verlegt.
Grundsätzlich besteht auch die Schwierigkeit, ob es für die Behauptung einer Verbesserung der künstlerischen Arbeit durch Fremdfinanzierung überhaupt Belege gibt. Wie wollte man die in der Regellosigkeit der postmodernen Situation überhaupt beibringen? Was wären dabei die Maßstäbe? Kunst, die in kommerziellen Galerien oder staatlichen Institutionen gezeigt wird? Könnte man sagen, die Kunst in England und den USA sei in den letzten 50 Jahren innovativer gewesen als in Kontinentaleuropa? Wenn Ja, warum? Künstlerinnen in New York und London können ebenso wenig von ihrer Kunst leben wie ihre Kolleginnen in Berlin, müssen aber aufgrund der Lebenshaltungskosten noch härter arbeiten und haben zudem weniger Unterstützung vom Staat zu erwarten. Dafür gibt es, wenigstens aus unserer Perspektive, mehr Möglichkeiten, in der Lehre unterzukommen. Macht dann letztlich die fehlende Unterstützung durch den Staat den Unterschied? Oder ist es ein Mentalitätsunterschied, in dem in den Ländern mit dem ausgeprägtestem Kapitalismus einfach alle, auch die Künstler, zum Erfolg verdammt sind?
Man mache einen Versuch und besuche ein beliebiges Atelierhaus zu seiner Jahresausstellung. Mit großer Sicherheit können die meisten Künstler dort nicht von ihrer Kunst leben. Nach der Idee der Befürworter der Fremdfinanzierung müsste das Atelierhaus nur so von ungewöhnlicher Kunst überquellen. Aber ist das wirklich der Fall? Man könnte die Künstlerinnen direkt fragen: „Worin ist Ihre Kunst ungewöhnlich?“ Könnten die Antworten uns weiterhelfen?
Aus ökonomischer Sicht bedeutet die Fremdfinanzierung eine Verteuerung des Markteinstiegs (oder in die andere Richtung gedacht, eine Preissenkung), da andere Akteure damit rechnen, dass Künstler schon bis zu einem Betrag X, den sie immer selbst erbringen, nicht mit Zahlungen aus dem System rechnen. Das kann dazu führen, dass Institutionen die Hürde für Honorare und andere Gratifikationen höher legen, weil sie davon ausgehen, dass Künstler nicht zwingend auf sie angewiesen sind. Sie können sich daher durch die Eigenleistung der Künstler entlastet fühlen.
Ähnlich der Frage nach der Innovation bleibt unklar, inwieweit die vermeintliche Unabhängigkeit unbequeme Künstler fördert. Gemessen an der Anzahl der Künstler, die streng genommen nicht auf das Kunstsystem angewiesen sind, und an den optimistischen Vorgaben (Fremdfinanzierung stärkt die Kunst) sehe ich sehr wenig Künstler, die sich kritisch mit dem Kunstsystem auseinandersetzen. Im Gegenteil, da sich die Fremdfinanzierung über Jahrzehnte erstrecken kann, ist immer der Staat mit im Spiel, der ausgleicht oder aushilft. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.
„Artists are so submissive. Take me. Make something out of me…“ (Malcom McLaren, 2004)
Endlich erschwert die Fremdfinanzierung die stärkste Sanktion, die ’normalen‘ Arbeitern zur Verfügung steht, die Arbeitsverweigerung, sei es durch Streik oder durch Ausstieg aus dem Job. Drohungen dieser Art sind Künstlern verwehrt, weil jeder weiß, dass sie weiter Kunst machen, so schlecht sie auch behandelt werden mögen. (Es ist gerade durch die ökonomische Besonderheit der Fremdfinanzierung gewährleistet, dass sie das starke Signal aussendet, dass dasjenige, das so finanziert wird, die höchste Priorität genießt.)
Die Fremdfinanzierung heizt die Kostenloskultur an
4) Wenn Künstler dauerhaft ihre Kunst aus externen Quellen finanzieren, dann bedeutet das letztlich, dass sie etwas produzieren, für das es aktuell keine Nachfrage gibt. Die Folge sind Überproduktion und sinkende Preise. Wie schon an anderer Stelle dargestellt, sind infolge der extremen Einkommensunterschiede in den Künsten niedrige Preise und Kostenlos nicht mehr unterscheidbar. Das meint, dass die vielleicht ursprünglich angedachte Vorstellung, durch subventioniert günstige Preise Käufer anzulocken, nicht mehr zieht, denn die Konsumentinnen gehen davon aus, dass sie das Produkt früher oder später noch günstiger oder umsonst bekommen werden. Die Konsequenz ist eine Kostenloskultur, die beständig die Bedingungen ihres eigenen Fortbestehens reproduziert. Künstler, die ihre Bilder nicht verkaufen können, stellen in sogenannten alternativen Kunsträumen aus, die nichts verkaufen, keinen Eintritt nehmen und ihr Personal nicht bezahlen können. Es entstehen Kataloge, für die niemand honoriert wird (die Künstler zahlen selbst dafür), und Zeitschriften, die kein Geld für ihre Autoren haben. Jede schiebt das Problem auf die nächste weiter. Manchmal gibt der Staat etwas Geld und ölt so die Maschine. Das kann zu einem geschlossenen Kreislauf führen, in dem schließlich „Kultur“ und „kostenlos“ zu Synonymen werden, auf dass die Kulturwissenschaftlerin Anika Meier feststellen konnte: „Wer sich nicht gratis aufopfert, ist Anti-Kultur.“ [Q]
Das verstand sie [die Mitpatientin] nicht und sagte etwas von der Befriedigung, die alles geistige Schaffen gewähre. «Nein, die kenne ich nicht, aber ich habe manchmal davon gehört», wagte ich hier zu bemerken, «was mich selbst in solchen Fällen aufrechterhält, ist ausschließlich der Gedanke an das Honorar.» Fanny zu Reventlow über die schriftstellerische Tätigkeit. In „Der Geldkomplex“, 1916
Und wenn das Geld als Vergleichsmaßstab wegfällt, kann sich auch niemand für Fehler, Versäumnisse, Unzulänglichkeiten verantwortlich fühlen oder verantwortlich gemacht werden. In Folge herrscht eine an die Zustände im ‚real existierenden Sozialismus‘ erinnernde Mangelwirtschaft, worin Missstände nicht behoben, sondern nur achselzuckend hilflos von einer auf die andere Seite verschoben werden. (Der Vergleich mit dem Sozialismus ist auch nicht zufällig, sondern resultiert direkt aus der antikapitalistischen Grundeinstellung vieler ‚alternativer‘ Kulturprojekte, die sich wahrscheinlich wenigstens unbewusst einen von Marktlogiken entbundenen Kollektivismus wünschen.)
(Natürlich profitieren auch öffentliche Institutionen und kommerzielle Galerien von diesem System, weil sie wissen, dass sie von Künstlern nahezu alles verlangen können. In vielen Förderrichtlinien sind, sehr fragwürdig, die privaten Unkosten nicht enthalten. Man erwartet, dass Künstler das sowieso schon bewerkstelligen. Dabei ist das Verhalten öffentlich geförderter Institutionen besonders bedenklich, denn sie bekommen ja gerade das Geld von der Allgemeinheit, weil Künstler angeblich auf dem freien Markt nicht überleben können.)
The entire cultural economy depends on self-employment; it is not the Arts Council that subsidises the arts, it is the artists. (Robert Hewison, The Art Newspaper 2021)
Es ist so: Menschen, die von ihrer eigenen Arbeit leben können, fallen dem staatlichen Sozialsystem nicht zur Last. Daher werden Anstrengungen unternommen, Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Künstler, die ihre Kunst aus externen Quellen finanzieren, entlasten die staatlichen Kulturhaushalte. Ohne die Eigenleistung der Künstler müssten sie mehr Geld für die Kultur aufwenden oder weniger Kultur hinnehmen. (Diese Win-win Situation wird selten öffentlich diskutiert; meistens nur hinter vorgehaltener Hand. Denn die dahintersteckende Botschaft lautet: die Künstler sind dumm und der Staat nutzt sie aus.)
Der exakte Betrag, mit dem die Künstler die öffentliche Kultur unterstützen, dürfte schwer zu ermitteln sein. Eine grobe Einschätzung könnte so aussehen: Differenz allgemeines Median-Einkommen 43.750 Euro brutto pro Jahr minus Median-Einkommen der Künstler (Beispiel Bayern) 20.000 Euro macht 23.750 Euro mal Anzahl der Versicherten bei der KSK im Bereich Bildende Kunst 66.810 ergibt 1,59 Mrd. Euro. Nimmt man die Gesamtzahl aller Versicherten (191.099) käme man auf 4,54 Mrd. Euro. Das ist kein geringer Betrag. 2020 betrugen die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für die Kultur 14,5 Mrd. Euro. (HSL 2024)
Nicht alles ist kostenlos!
Der grundsätzliche Einwand gegen die Kostenloskultur besteht aber darin, dass nicht wirklich alle kostenlos arbeiten. Künstlerinnen gestalten ihre Kataloge selbst. Die Druckerei wird aber bezahlt. Der Off-Galerie-Ausstellungsraum, der nichts verkauft, zahlt dennoch Miete. Die Kunsthistorikerin, die bei der Eröffnung spricht, erhält ein Honorar. In einem Musikclub, der mit dem Label Underground wirbt, werden alle bezahlt, – die, die an der Bar stehen, vor der Tür, die Techniker, das Booking, selbst die Garderobe, – wer nicht bezahlt wird, sind die DJs, die den Laden am Laufen halten.
Die Trennlinie zwischen bezahlt-unbezahlt verläuft dabei in der Regel entlang gesellschaftlicher Konventionen und spricht dadurch der ursprünglichen Absicht, diese zu durchbrechen, irgendwie anders oder alternativ zu sein, Hohn. Wovon soll ich denn meine Miete bezahlen?, fragt der Handwerker, der seinen Lohn fordert. Die gleiche Frage bei einem Künstler wird als Spießigkeit ausgelegt, die der Heroik seiner Aufgabe nicht gerecht wird. Kunst ist kein Beruf und die Forderung nach einem dafür angemessenen Honorar ein Affront, so die Argumentation, die meistens von der Seite kommt, der Vermittlung und Kritik nämlich, die sehr selbstverständlich für sich ein entsprechendes Honorar fordert.
Die Kostenloskultur, die oftmals und gerade auch von Künstlern als anti-kapitalistisch souffliert wird, ist auf zynische Weise genau das Gegenteil, nämlich eine entschiedene Trennung von Oben und Unten, Besitzern und Besitzlosen, Ein- und Ausgeschlossenen, wie sie in der Welt, der sie als Alternative gegenübergestellt wird, in der Breite viel seltener vorkommt.
🔵 Es folgt hier Teil 2. Eingestellt am 11.09.2024 19:31
Die Fremdfinanzierung verwickelt die Künstler in die Aporien der Kreativwirtschaft
5) Die im vorangegangen Abschnitt dargestellte Kostenloskultur bildet die Grundlage für die Erörterung der Kreativwirtschaft (auch Creative Economy oder New Economy), in die sich Künstler zunehmend verstrickt und aufgesogen sehen.
In der Kreativwirtschaft wird die zunächst auf die Binnenlandschaft des Kunstbetriebs beschränkte Kostenloskultur auf die Ebene der gesamtgesellschaftlichen Ökonomie gehoben und verallgemeinert.
Kreativwirtschaft (Creative Economy oder New Economy) ist als Phänomen seit den 1990er Jahren breit dargestellt worden. Beispielhaft dafür stehen die Beiträge von Boltanski/Chiapello (2006), Florida (2002) oder Reckwitz (2013). Kritik daran findet sich etwa bei Raunig (2007, 67), Lorey (2007, 121) oder McRobbie (2004b). Ich beschränke mich daher auf allgemeine Bemerkungen.
Die Creative Economy wird darin als ein Paradigma eines fundamentalen Wandels in der postindustriellen Gesellschaft verstanden, weg von der Produktion von Waren/Gegenständen hin zu einer Produktion, die auf Kreativität und Talent aufbaut. Zentraler Begriff ist Kultur, die es in allen Aspekten zu verstehen und herzustellen gilt. Angela McRobbie (2004b) sprach von „Aesthetic Labor“. Gernot Böhme brachte den Begriff des „ästhetischen Kapitalismus“ ins Spiel:
„Dadurch [um das Jahr 1977] wird ein Umschlag der Ökonomie markiert, nachdem das Ästhetische nicht mehr nur ein Gegenstand industrieller Produktion ist, sondern die Ökonomie selbst ergreift, und die Waren nicht mehr nur über ihren Tauschwert genossen werden, sondern sich vielmehr ein neuer Werttyp herausbildet, der Gebrauchswert und Tauschwert zusammenschließt, der Inszenierungswert. Ich charakterisiere diese Entwicklung als den Umschlag von der Kulturindustrie in die ästhetische Ökonomie.“ (Böhme 2016, 99)
Schon wenigstens ein Jahrzehnt früher bemerkte Frederic Jameson:
„What has happened is that aesthetic production today has become integrated into commodity production generally: the frantic economic urgency of producing fresh waves of ever more novel-seeming goods (from clothing to airplanes), at ever greater rates of turnover, now assigns an increasingly essential structural function and position to aesthetic innovation and experimentation. Such economic necessities then find recognition in the institutional support of all kinds available for the newer art, from foundations and grants to museums and other forms of patronage.“ (Jameson 1984, 4)
In gleicher Weise wie die Produkte ändert sich auch der Charakter der Arbeit selbst. Die Anforderungen an das arbeitende Subjekt gehen weg von einer numerisch-buchhalterisch erfassbaren Leistung zu einer Performanz, bei der nur noch das Ergebnis zählt, dem Erfolg vor einem Publikum (Reckwitz 2017 o. Neckel 2008). Das Prinzip der Winner-take-it-all erfasst außerhalb der Künste und des Sports immer weitere Berufsgruppen und fördert dabei eine außerordentliche Spreizung der Einkommen und Aufmerksamkeiten. Jobs, so las ich kürzlich, werden zunehmend danach beurteilt, ob sie „skalieren“ (scale-well) oder nicht. Während eine Lehrerin oder eine Krankenschwester kaum die zwei- oder dreifache Anzahl an Schülern oder Patienten betreuen kann, ist einem Börsenmakler die Verdreifachungn des Umsatzes ohne Weiteres möglich. Besonders extrem skalieren wiederum kulturelle Tätigkeiten. Für einen Rockstar muss es nicht ungewöhnlich sein, 1000 mal mehr Platten oder Abrufe auf Spotify zu verkaufen als ein weniger bekannter Kollege. Wie Rosen (1981) und Menger (2014) dargestellt haben, sind dabei die messbaren Unterschiede zwischen den Performern ungewöhnlich klein.
Diese Entwicklungen erlauben, näher auf die Rolle der Künstler dabei einzugehen.
Während Künstler im vorangegangen Industriezeitalter, dem der Massenproduktion, nur am Rande, in Nischen vorkammen, im Sinne des Wortes Außenseiter waren, rückten sie im Verlauf zur Wandlung der gesellschaftlichen Produktion zu einer kulturell-singulären, ästhetischen aufgeladenen in den Fokus eines vielfältigen Interesses, so daß ihnen plötzlich Zuschreibungen wie „Pioneers“ oder „Role Models“ (McRobbie 2004b) angemessen waren.
Die Künstler sind auf zwei Weisen interessant:
a) sie sind Experten der Kulturalisierung und Singularisierung. (Werte zu schaffen, braucht – angeblich – keine großen, hierarchischen, arbeitsteiligen – also fordistischen – Organisationen mehr) Sie wussten schon sehr lange, wie man einzigartige Objekte oder Ereignisse mit einem hohen Grad an affektiver Aufladung oder Zuschreibung herstellen konnte.
Dabei sind sie auch Expertinnen darin, wie kulturelle Güter bewertet und valorisiert werden, denn die Mechanismen unterscheiden sich stark von anderen Bereichen der Wirtschaft. Kulturelle Güter werden zunehmend ‚kuratiert‘, d.h. aus der Masse des Angebots wählen spezielle Gatekeeper aus, selektieren und stellen auch neu zusammen. Das Prinzip des DJs hat sich von der Musik aus auf alle kulturellen Felder ausgedehnt. Mit der Folge, dass zunehmend für DJs produziert wird und nicht mehr für das Publikum.
Der andere Faktor sind Preise und Rankings, die sich über die übliche Valorisierung von Qualitäseigenschaften gelegt haben. So sagt man heute statt: „Das Buch ist spannend. „Das Buch hat den Bachmannpreis gewonnen.“ oder „Das Buch ist ein Spiegel Bestseller.“
Künstler bringen die Fähigkeit mit, sich in unklaren Bewertungszusammenhängen zu bewegen und die damit verbundene Unsicherheit auszuhalten.
b) sie sind mit den (zumeist prekären) Arbeitsbedingungen dieser New (Creative) Economy bestens vertraut. Was in ihr gefordert wird, habe sie immer schon getan und geleistet. Sie sind die Paradigma für ein unternehmerisches Selbst (Bröckling 2007), wie es sich im post-industriellen Zeitalter herausgebildet hat. (s.a. Rothauer 2005, 97)
Genügsam, flexibel, allzeit bereit, mobil, selbst-organisiert, selbst-motiviert, billig, prekär lebend, risikobereit, Belohnungen in der Gegenwart in eine hoffentlich rosige, aber ungewisse Zukunft verschiebend. (Sie verkörpern die protestantische Ethik hoch 3)
Künstler sind die Blaupause für das deregulierte, atomisierte, privatisierte Subjekt ohne Bindung, ohne Bezug, ohne Verlässlichkeit, mit einem Leben als ständige Improvisation.
Zu den Bedingungen der New (Creative) Economy wurde auf gesamtgesellschaftlicher Ebene versucht, eine extrem risikoreiche Lebenseinstellung, die bisher nur wenigen möglich war, auf eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe übertragen: „Everyone is creative“ „Live and work like an artist.“ (McRobbie 2004b, 8)
Nach Angela McRobbie wurden unter New Labour in England ab 1997 arbeitsmarktpolitisch zwei Ziele verfolgt: a) eine neue Strategie von Wachstum durch Investion in „Kreativität“ / Kreativarbeit / Kreativwirtschaft. b) Menschen, die sich als ‚Kreative‘ verstehen (oder denen das eingeredet wird), aus der staatlichen Sozialversicherung herauszuhalten. Wer soloselbständig ist, zahlt nicht mehr ein und nimmt alles Wagnis auf sich.
„It is in the field of the cultural and creative industries that we find the fullest expression of an ‘ideal local labour market’ from the viewpoint of a New Labour government committed to full employment, to freeing individuals from dependency on state subsidies, to creating a thriving entrepreneurial culture and to a new work ethic of self responsibility. […]
Thus we find a curious scenario of a centre-left government whose priority it is to perform a double act of neo-liberalisation, first to minimise social welfare support for those unable to earn a living wage (so that earnings now become multi-sourced, with creatives holding down two or three jobs at once), and second to set individuals to their own devices in terms of job creation so that the large corporations are less burdened by the responsibilities of a workforce.“ (McRobbie 2004b, 8)
Ein Heer von freiberuflichen, auf sich selbst gestellten Kreativen, – das sei das Ziel des Projektes „Everybody creative“ und der Labour Regierung:
„This then is a New Labour classless dream, a hi energy band of young people driving the cultural economy ahead but in a totally privatised and non subsidy oriented direction.“ (McRobbie 2004b, 18)
Bei den sehr geringen Arbeitseinkommen wird das Existenzrisikio zeitlich nach hinten aufgeschoben. Es mag für eine Weile gut gehen (auch mithilfe der Eltern), am Ende werden viele, wenn die Rente nicht mehr reicht, in der Grundsicherung landen. (Die Regierung, die das veranlasst hat, ist dann schon lange nicht mehr im Amt.)
Feldstudie 4: In der Zukunft wird man einmal sagen, die Menschen des frühen 21. Jahrhunderts hätten für 2-3 Likes am Tag gearbeitet.
Die Künstler sind in diesem Szenario die doppelten Verlierer:
a) sie bekommen ihr eigenes, prekäres Lebensmodell im Sinne einer Watzlawickschen Symptomverschreibung auferlegt, nach dem sie gefälligst glücklich und zufrieden zu sein haben, arm aber sexy. Dazu bemerkte Isabell Lorey (2006): „Diese erzwungene und gleichzeitig selbst gewählte Finanzierung des eigenen kreativen Schaffens stützt und reproduziert genau die Verhältnisse immer wieder, unter denen man leidet und deren Teil man zugleich sein will.“
b) ihre eigene, höchst problematische Lebenseinstellung wird dazu benutzt, weiteren Teilen der Gesellschaft ein fragwürdiges Modell zu verkaufen, das darauf beruht, dass viele arm bleiben, während sehr wenige extreme Einkommen erzielen (siehe auch Menger 2006) Die Künstler haben nichts davon. Wenn Florida (2005) einen Bohemian Index erstellt, der misst, in wieweit Wirtschaftswachstum auf kreative Biotope zurückgeht, sind Künstler nicht oder nur sehr indirekt Nutznießer dieser Modelle. Sie werden missbraucht.
Paradigmatisch dafür steht das Manifest „Not in our name“ (Hamburg 2009), in dem Kulturschaffende der Hansestadt kritisch ihre ihnen zugeschriebene Rolle reflektierten:
„Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die Kleinegeile-Läden-Betreiber und Ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur „Stadt der Tiefgaragen“ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der „Wachsenden Stadt“ gehören.“
So klar die Einsicht, so gering die Folgen. Auf den Unmut der Künstler folgten von Seiten der Hamburger Kulturpolitik hier und da einige Zugeständnisse, in Form des Gängeviertels oder der Victoria Kaserne, die sich aber innerhalb der Kulturlandschaft wie Inseln mit Reservatscharakter ausnahmen.
Im Kampf um politische Teilhabe, oben und unten, high and low, haben sich die Fronten dagegen wenig verschoben. Beispielhaft für ein weiterhin konservatives Kulturverständnis steht die Elbphilharmonie in Hamburg, deren Bau ein Vielfaches der Aufwendungen für die freie Szene verschlungen haben dürfte. Die beispielhafte Überschreitung der ursprünglich veranschlagten Baukosten dieses Prestigeprojektes an der Elbe stieß weder auf größere Kritik noch auf Widerstand.
Die Botschaft der Kreativwirtschaft lautet: Künstler sind willkommen, wenn sie dabei helfen, anderen einzureden, sich ebenfalls für ganz wenig Geld krum zu machen. Darüber hinaus werden sie nicht benötigt.
* * *
Warum Künstler ihre Kunst nicht aus externen Quellen finanzieren sollten
Im letzten Abschnitt habe ich fünf Gründe genannt, warum die Neigung der Künstler, ihre Kunst aus externen Quellen zu finanzieren, negative Folgen hat. Es waren:
1) sie ist höchst ungewöhnlich und widerspricht dem Ethos anderer Berufe
2) die Fremdfinanzierung kann die interne Konkurrenz der Künstler um optimale Arbeitsbedingungen nicht aufhalten
3) die Fremdfinanzierung kann keine bessere Kunst garantieren
4) die Fremdfinanzierung heizt die Kostenloskultur an
5) die Fremdfinanzierung verwickelt die Künstler in die Aporien der Kreativwirtschaft
Zusammengenommen unterstützen diese fünf Gründe eine Gesamttendenz, die das Verhalten der Künstler in denkbar schlechtem Licht erscheinen lässt.
Feldstudie 8: Professor zum Studenten: „Du machst bei mir Diplom und wirst danach mein Assistent. […] Ich sorge, dass Du eine Anstellung bekommst. […] Ich finde ein Stipendium für Dich. […] Ich kümmere mich. […] Mhm, könnten Deine Eltern vielleicht für Dich aufkommen?“
Während die Fremdfinanzierung gemeinhin idealistisch („für die Kunst“), beinahe als Opfer, dargestellt wird, ist sie strikt genommen ein negatives Einkommen zu nennen. Denn hier fließt Geld dauerhaft in eine Richtung, die es in anderen Berufen nicht nimmt. Ökonomisch eine einzige Verlustrechnung.
Für die eigene Kunst wird permanent Geld abgezweigt, das an anderer Stelle fehlt. (In Abschnitt 4 wurde darauf hingewiesen, dass die Sozialsysteme in Zukunft belastet werden.) Auch wenn es so aussehen mag, als belasteten oder schädigten die Künstler in erster Linie sich selbst, ziehen sie mit ihrem Verhalten andere in Mitleidenschaft. Den eigenen Partner, die Eltern, Freunde und Verwandte.
Katja Kullmann findet dazu in ihrem Buch ›Echtleben‹ Beispiele:
„Die Gegenwart ist zu einem Gutteil elternfinanziert, der heutige Wohlstand — darin inbegriffen die Rudimente der Solidarsysteme — speist sich ganz wesentlich aus der Vergangenheit, ist also gewissermaßen fiktiv — jedenfalls nicht halb so gegenwärtiger Natur, wie es scheint. Selbstbewusste Existenzgründungen zum Beispiel: Sie werden natürlich leichteren Herzens und wagemutiger in Angriff genommen, wenn da ein finanzieller background ist, ob der Rückhalt nur ideeller Natur ist (zur Not hilft Papa), oder ob er auch praktisch genutzt wird, wie es bei den Kaffee-Geschäften von Frau Kullmann oder dem Schuhhändler der Fall ist.
So kommt es, dass manche mitteljunge Erwachsene für ihren »Gründermut« und »risikofreudigen Einsatz« gelobt werden, obwohl doch der Herr Schwiegerpapa das Kunstmagazin finanziert, die Bürgschaft für die Bankkredite übernimmt, die Büroeinrichtung zum 35. Geburtstag sponsort.“ (Kullmann 2011, 94)
Ihre Diagnose deckt sich hier mit den Bedenken von Angela McRobbie, die die Anforderungen der Kreativökonomie ähnlich beschrieb:
„an incredible investment in self and image, endless self monitoring, […] self reliance but falling back on parental support without that many wouldn’t be able to carry on these experimental careers.“ (McRobbie 2004b)
Noch drastischer drückt sich der Künstler Henning Lundkvist in seinem Manifest ›Planned Obsolescence‹ aus, wenn er das Kunstsystem mit einem Land vergleicht, in dem Korruption und Misswirtschaft an der Tagesordnung sind:
„So just like so many other contemporary artists and writers, I managed to support my cultural capital in general, and my so-called artistic practice in particular, by feeding it with actual monetary capital. […]
It created a force-fed economy where one could convert cash into cultural capital without being able to exchange it the other way.
It was as if cultural capital were one of those heavily protected currencies that you’re not allowed to take out of the country, like in dictatorships and military-controlled isolationist economies.
Currencies with terrible exchange rates and extreme inflation, just like cultural capital.
Economies based on cronyism, bribery, and corruption, just like the cultural sector.“ (Lundkvist 2018, 3)
Letztlich kommt es nicht darauf an, woher das Geld stammt, ob aus Taxi fahren oder aus ererbtem Vermögen. Es kommt auf die Wirkung an und was Künstler damit bezwecken.
So lässt sich das Moment der Fremdfinanzierung auch als Sabotage am Gedanken der Meritokratie beschreiben. Das Prinzip „Jedem nach seinen Fähigkeiten.“, – das soll nicht gelten. Man kauft sich davon frei.
Gerade weil Künstler diesem Ideal nicht zustimmen, das Gewinn und Verlust nach Regeln des Marktes und dem Wirken des Einzelnen zu regeln versucht, gehen sie her und gleichen ihren beständigen Verlust aus externen Quellen aus. Denn die Konsequenz, aus dem System auszuscheiden, wenn sich ihre Kunstversuche nicht rechnen, wollen sie nicht hinnehmen.
Die Künstler geben auch jeden Versuch auf, jemals selbst fair bewertet zu werden. Denn die implizite Botschaft der Fremdfinanzierung ist die: „Mir ist egal, wie mich andere sehen. Ich mache es, wie ich will.“ So wird das Autonomiegebot der modernen Kunst in einen Zwang verkehrt.
Ähnlich dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) wird die Vorstellung davon, was Arbeit ist und wie sie bewertet und entlohnt werden sollte, aufgelöst und erodiert. (Wenn Sennett (1998, 81&97) vor langer Zeit schrieb, Arbeit sei unlesbar geworden, so können wir gleichermaßen feststellen, Kunst sei unlesbar geworden.)
Wie schon an anderen Stellen in diesem Artikel bemerkt, zeigt sich der Anschluss an einen romantischen Antikapitalismus möglich und plausibel, den viele Künstler idealisieren. Nach Sayre & Löwy geht es ihm vor allem um die Rückbesinnung und Verklärung vormoderner Werte:
„Romantic anti-capitalism is a thorough critique of modern industrial (bourgeois) civilization (including the process of production and work) in the name of certain pre-capitalist social and cultural values.“ (Löwy 1987, 891)
Romantische Kapitalismuskritik richtete sich vor allem gegen:
„- the quantification of life, i.e. the total domination of (quantitative) exchange-value, of the cold calculation of price and profit, and of the laws of the market, over the whole social fabric […]“
und
“ – the decline of all qualitative values – social, religious, ethical, cultural or aes- thetic ones – the dissolution of all qualitative human bonds, the death of imagination and romance, the dull uniformization of life, the purely „utilitarian“ – i.e. quantitatively calculable – relation of human beings to one another, and to nature. The poisoning of social life by money, and of the air by industrial smoke, are grasped by many Romantics as parallel phenomena, resulting from the same evil root.“ (Löwy 1987, 892)
Dass diese Kritik nicht im 19. Jahrhundert verendete, sondern untergründig bis in die heutige Zeit fortlebt, zeigten Boltanski/Chiapello (2006, 449) in ihrer Gegenüberstellung von „Sozialkritik“ und „Künstlerkritik“.
Darauf ist es gerade den Ideen der Kreativökonomie zu verdanken, dass die in ihr angestrebte Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und die nachgesuchte Herauslösung aus der abstrakten und überindividuellen Sozialbindung zugunsten hyperindividueller Arbeitsformen (McRobbie 2004b) nicht abschreckend, sondern erstrebenswert wirkte. Möglich wurde das durch die subtile Mobilisierung gedanklicher Traumbilder (der kleine Laden, die eigene Manufaktur oder Buchpresse, die Miniauflage…), die an die Heilserwartung vorindustrieller Lebenswelten anknüpften, wie auch die Ansprache emotionaler Dispositive, nach deren Imperativ der Leiter eines städtischen Kulturamts Leidenschaft einfordern kann. Hier wäre noch viel Raum für eine entsprechend weiter ausgearbeitete Studie.
Zusammengefasst komme ich in dieser Untersuchung zu dem Schluss, dass die Fremdfinanzierung der Kunst in keinem Fall ein Gewinn, sondern ein großer Schaden ist, weniger für die Gesellschaft als für die Künstler selbst, die einem falschen Ideal anhängen.
Für Künstler sollte es daher nur eine Konsequenz geben: für eine gewisse Zeit können sie im Sinne einer Investition ihre Kunst aus externen Quellen finanzieren. Wenn sie aber danach nicht dauerhaft von der Kunst leben können, sollten sie aus ihr ausscheiden und sich anderen Aufgaben zuwenden. Es wäre kein Verlust.
Literatur
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